Kommentar von Dennis Riehle
Was macht einen Menschen aus? Wahrscheinlich würden auf diese Frage viele von uns mit den verschiedensten Charaktermerkmalen und Persönlichkeitseigenschaften antworten, die das Individuum in seiner Einzigartigkeit prägen. Möglicherweise stoßen wir dabei auf die diffizilsten und herausragendsten Besonderheiten, die uns von Anderen unterscheiden. Doch wahrscheinlich würde kaum jemand auf den Gedanken kommen, hierbei sein Geschlecht als Mann oder Frau gesondert zu benennen. Zumindest bis zum 31. Oktober 2024 galt die Regel, dass man sich entweder als Maskulinum, Femininum oder Diversum identifiziert. Doch seitdem ist nichts mehr, wie es über die Jahrmillionen durch die Evolution festgeschrieben wurde. Natürliche und gottgegebene Unverrückbarkeiten sind seither volatil. Wir orientieren uns nicht mehr an dem, was objektiv bei der Geburt als einigermaßen klarer Befund hinsichtlich der Zuordnung innerhalb der Binarität festgeschrieben wurde. Stattdessen gilt seither der Maßstab der Gefühle. Die Ampel hat einen ähnlichen Affront produziert, wie es Angela Merkel 2015 mit ihrem „Wir schaffen das“ getan hat. Der Öffentlichkeit wird ein Axiom diktiert, das unter der großen Mehrheit Ablehnung findet. Denn selbst der seltene Fall von Inter- oder Transsexualität wurde mit dem sogenannten Selbstbestimmungsgesetz ad absurdum geführt.
Denn gab es hierfür bislang stets eine für den außenstehenden Beobachter bemerkbare Dissonanz zwischen der äußerlichen Gestalt und einer davon abweichenden Rollenzuschreibung einer Person, die beim Betroffenen zu einem erheblichen Leidensdruck führte, weil man nicht aus seiner Haut konnte, so sind es nunmehr tagesaktuelle Befindlichkeiten, die entscheiden. Es geht also keinesfalls um einen Wechsel zwischen den beiden Polen innerhalb des zweigliedrigen Rahmengerüsts allein, sondern Gradmesser ist die im Zweifel stündlich taumelnde Gemütslage, die wenigstens einmal pro Jahr auch auf dem Standesamt mit einer Änderung des offiziellen Eintrags zementiert werden darf. Was die Einen als Revolution feiern, ist für die Anderen die Realisierung von Sodom und Gomorrha. Immerhin scheint auch die letzte Konformität gefallen, auf die man sich gemeinschaftlich verließ. Jetzt muss man im Zweifel bei jeder falschen Anrede eines Gegenübers fürchten, mit einer Strafanzeige, Bußgeldern und dem Pranger überzogen zu werden, weil man biologische Wahrheiten ausspricht, die die Gender-Ideologie dank einer willfährigen Wissenschaft zur Verhandlungsmasse erklärt hat. Da werden mühsame Errungenschaften von Emanzipation und Kultivierung kurzerhand aufgekündigt. Die Entwicklung zu gesitteten Wesen scheint in Degeneration begriffen.
Schließlich ist es nicht mehr ausgeschlossen, dass sich mein Nächster kommende Woche als Schreibtischlampe, Salatgurke oder Murmeltier wiedererkennt. Und die Modulation zwischen männlich und weiblich erlaubt bei Bedarf auch einen Missbrauch der nunmehr vorherrschenden Anarchie. Hatten wir streng darauf geachtet, die Integrität, Souveränität und Autonomie eines jeden penibel zu wahren, kommt es einem ethischen und moralischen Tabubruch gleich, wenn fortan auf der Damentoilette, im Saunabereich oder bei Sportwettkämpfen der Sexus negiert wird – und damit die ontogenetischen Grenzen sukzessive verschwimmen. Der jegliche humanistische Grundsätze zu einem Paradox verkehrende Trend dürfte zu einer massiven Entfremdung und Chaos innerhalb der Gesellschaft führen. Wer sich in größtmöglicher Unsicherheit darüber befindet, wer oder was sein Nachbar, Freund, Kollege oder Unbekannter ist – beziehungsweise, wie er sein möchte, wird bei Bedarf ihr zurückschrecken, überhaupt mit ihm in Kontakt zu treten. Lohnt sich also die Kommunikation und Interaktion mit jemandem, der diesseits und jenseits der Wechseljahre auf Sinnsuche ist – und dabei auf dem Ozean der Vielfalt zwar dem Regenbogen entgegensegelt, aber von einem Hafen weit entfernt ist, in dem man vor Anker gehen und seinen persönlichen Seelenfrieden finden könnte?
Die Unfähigkeit oder Unwilligkeit, sich nach einer Ausprägung der Wesenseinheit – spätestens im Laufe der Pubertät – auf etwas festzulegen, entspringt einem enormen Selbstzweifel. Authentizität und Echtheit erlangt nur derjenige, dem das Ankommen in einer Analogie, Harmonie und Idee gelingt. Es ist also ein Reifungsprozess, an dessen Ende die Zufriedenheit mit dem eigenen Werdegang steht. Wer planlos und ziellos umherirrt, weil er sich in keinem Gleichklang wohlfühlt, dem mangelt es nicht selten auch an Bewusstsein dafür, tiefsitzende Verwerfungen in Emotionalität, Psyche und Ich zu erkennen – und sie irgendwann handhaben zu können. Diese Unstetigkeit und Unruhe machen uns zu Flüchtigen vor der immanenten Kongruenz. Eine fortwährende Ablehnung des Nativen unterwirft uns einer Willkür und Beliebigkeit, die jedem kollektiven Miteinander Leitbild und Richtschnur verwehrt. Daher wird das Ringen um die Tatsächlichkeit nicht nur hinsichtlich Abstammung und Provenienz jetzt erst richtig Fahrt aufnehmen. Wenn wir erst einmal damit beginnen, Realität, Praxis und Konsens zur Disposition zu stellen, sind wir der völligen Erodierung von Prinzipien, Gepflogenheit und Ebenbürtigkeit ganz nah. Die Gefahr für eine Zivilisation, welche von einem größten anzunehmenden Unfall mit Blick auf die Tugendhaftigkeit ausgeht, ist mehr als ein zeitgeistiges Problem. Sie stellt die Existenzfrage für jedes soziales Gefüge.