Kommentar von Dennis Riehle
Ich gebe zu, dass ich nicht mit allen Szenen zufrieden war, die sich beim Christopher Street Day in Bautzen boten. Als schwuler Mann habe ich ausdrücklich ein Problem mit dem Regenbogen. Denn für mich ist meine diesbezügliche Lebensweise keine Ideologie oder Philosophie, auf der ich meine Existenz stütze. Stattdessen gehört sie als eine von vielen Wesenseigenschaften zu mir, ohne mich durch sie in eine bessere oder schlechtere Position heben zu können oder zu wollen. Zweifelsohne sehe ich es als Rückfall an, wenn manch eine Gruppierung am äußerst rechten Rand zu der undifferenzierten Darstellung gelangt, dass Homosexualität prinzipiell unnormal sei. Derartige Plakate auf der Gegendemonstration fanden bei mir keinen Anklang. Mir ist völlig klar, dass ich mit meiner Liebe zum gleichen Geschlecht in einer Minderheit bin. Und deshalb gehöre ich tatsächlich auch nicht zum Regelfall. Und trotzdem erkenne ich in meiner Veranlagung keine Widernatürlichkeit, die ich mir hätte anerziehen oder mich mit ihr anstecken können – wie es tatsächlich noch in manchen Köpfen als Möglichkeit angesehen wird. Warum sich die Schöpfung eine solche Schattierung ausgedacht hat, darüber kann man sicherlich ganze Abhandlungen verfassen. Dass die Zeugung von Kindern zwischen zwei Männern auch im 21. Jahrhundert noch immer nicht gelingt, beweist für mich allerdings kaum, dass ich irgendeine Aversion gegen das Bild der konservativen Familie in mir hege. Ganz im Gegenteil. Ich bin dankbar über jede Verbindung zwischen dem verschiedenen Sexus. Denn auch für mich ist der Nachwuchs die Keimzelle für Leben, Zukunft und Erhalt unserer Gruppe.
Dass ich zu diesem Geschenk keinen Beitrag leisten werde, das führt bei mir allerdings ebenfalls nicht zu einem Minderwertigkeitskomplex. Denn weil ich darauf vertraue, dass die Evolution durchaus klug angelegt ist, wird es in jeder ihrer Ausprägungen einen tieferen Sinn geben. Ob es nun eine Geburtenkontrolle oder lediglich eine Ausformung von Vielfalt sein mag, hat für mich eine nachgeordnete Bedeutung. Ich bin mit mir im Reinen, aber sicherlich nicht glücklich darüber, anders zu sein. Stattdessen ist es eine Gegebenheit, der ich mit einer neutralen Empfindung gegenüberstehe. Schließlich stelle ich an mich den Anspruch, mein Privates in das Schlafzimmer zu verlagern. Und so kreist mein Alltag auch nicht um die Frage, welche Orientierung ich denn morgen einnehmen oder welches Ens mein nächster One-Night-Stand sein könnte. Denn dieses queere Denken der Beliebigkeit, welches mich dazu verleitet, gegebenenfalls stündlich meine Identität zu wechseln, verachte ich genauso wie all die Vertreter der AfD oder der „Freien Sachsen“, deren überwiegenden Kritikpunkte ich ausdrücklich mittrage. Denn eine Existenz, in der ich stets auf der Suche nach mir selbst bin, ist wahrlich nicht stabil und kongruent. Da schippert man im Zweifel über ganze Dekaden hinweg auf dem Ozean der unbegrenzten Möglichkeiten, um sich beharrlich vor dem Einlaufen in einen Hafen zu drücken – und durch eine Festlegung im biologischen Gefüge der Binarität vor Anker zu gehen. Es sind die zum Schaulaufen ausgeführten Skurrilitäten auf den Paraden der Toleranz, des Respekts und des Pluralismus, die mich auf das Schärfste von jeglicher Gemeinsamkeit mit dieser Community abgrenzen lassen. Lack, Leder, Rüschen, Schweinsmasken, Windeln, Handschellen oder Nacktheit auf der Straße sind für mich nicht nur anrüchig, sondern obszön, skurril und pervers. Und mit einer solchen Degeneration von Kultiviertheit, Sittlichkeit und Normativität möchte ich nicht in einen Topf geworfen werden.
Für mich gilt auch weiterhin Schwarz-Rot-Gold als der wesentliche Fixpunkt für meine Bestimmung. Ich habe kein Bedürfnis, meinen Uranismus irgendjemandem auf die Nase zu binden oder ihn wie eine Monstranz durch die Gegend zu tragen. Mein homoerotisches Merkmal ist für mich ungefähr genauso wichtig wie meine Haarfarbe. Sie ist da – und sie nehme ich an. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Mein Dasein dreht sich nicht darum, wem gegenüber meine Begierde gilt. Ich möchte auch nicht mehr Rechte als der Rest der Menschheit. Deshalb brauche ich auch keine eigenen Artikel in unserem Grundgesetz, die mich zu etwas Besonderem machen. Für mich war bereits die Zulässigkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe ein Schritt zu viel. Denn ich sehe das ideale Konstrukt zwischen Maskulinum und Femininum schon allein aufgrund der sich optimal ergänzenden und fügenden Symbiose als über die Maßen schützenswert an. Ich habe auch kein Problem damit, hinsichtlich dieser Charakterlichkeit in der Unterzahl zu sein. Sie schmälert weder meine Würde, meinen Wert noch meine Wirklichkeit. Für mich ist es fremd, in einer Parallelwelt meiner Buntheit zu frönen. Ich sehe mich als integralen Bestandteil in der Mitte unserer Gemeinschaft. Und so habe ich bisher kaum eine Diskriminierung, Anfeindung oder Hass erfahren, die mich reflexartig nach noch mehr Mitleid, Meldestellen oder Moralkeulen rufen lassen. Wenn es uns gelingt, gerade auch im patriotischen Lager zwischen jenen zu unterscheiden, die völlig unbehelligt und in gleicher Normalität wie die Heterosexuellen ihre schwule, lesbische, bi- oder transsexuelle Gestalt ganz für sich behalten wollen – und den anmaßenden, übergriffigen und bevormundenden Paradiesvögeln, die nicht genug davon bekommen können, ihre Mentalität einem Miteinander aufzuzwängen, würde sich vielleicht auch manch eine Schlagzeile vermeiden lassen, die das rechte Spektrum spaltet.