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Wenn Ex-Verfassungsrichter die Ampel rügen, muss nicht nur Holland in Not sein!

Kommentar von Dennis Riehle

Vieles von dem, was derzeit in Deutschland geschieht, hat Seltenheitswert. Da passieren Dinge, die man nie für möglich gehalten hat. Und weil die Realität im Jahr 2024 so irreal wirkt, gibt es auch Zwischenrufe, deren Notwendigkeit man in einer Demokratie eigentlich nie erwartet und für notwendig gehalten hätte. Dass sich also aktuell ein ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts mit scharfen Worten in Richtung der Ampel wendet, untermauert den Ernst der Lage. Hans-Jürgen Papier macht dem Kabinett von Olaf Scholz schwere Vorwürfe. Und er lässt mit einem Hinweis aufhorchen, der insbesondere Behauptungen der Grünen wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen lässt. Immerhin wird oft davon gesprochen, dass regulierende Maßnahmen in der Asylpolitik an der europäischen Gesetzgebung scheiterten, weil man fälschlicherweise davon ausgeht, dass EU-Recht zwangsläufig die Regelungen in den einzelnen Mitgliedsländern schlägt. Doch dem ist in dieser Pauschalität eben nicht so. Wie es der ehemalige Frontmann der roten Roben richtig feststellt, sind vor allem Art. 1 und Art. 20 GG auch dann nicht veräußerbar, wenn Brüssel darauf bestehen sollte.

Und so bleibt einerseits die nationale Souveränität unangetastet, andererseits aber auch die Definition der Menschenwürde, wie sie in unseren Prinzipien verstanden wird. Sie ist zwar absolut und lässt sich nicht abstufen. Allerdings wird sie nicht durch ein bereits in der Bibel festgelegtes Vorrangigkeitsgebot geschmälert, welches besagt, dass wir uns in erster Linie um den an den Rand Gedrängten in unserer eigenen Gesellschaft kümmern sollen, ehe wir noch verbliebene Kapazitäten und Ressourcen auch demjenigen zuteilwerden lassen, der aus der Fremde zu uns kommt, weil er in seinen heimatlichen Gefilden verfolgt wird. Gleichberechtigung heißt nicht, dass wir jedem Schicksalsgeplagten von diesem Globus mit offenen Armen begegnen und ihn bedingungslos bei uns aufnehmen müssen. Denn eine Benachteiligung liegt nicht vor, wenn wir Schutz und Obdach versagen, weil es an einer Bleibeperspektive mangelt – und eine Existenzbedrohung in der Herkunftsregion individuell und konkret unbelegt bleibt. Schon das Völkerrecht gesteht es jedem Staat zu, seine Unversehrtheit zu verteidigen.

Niemand muss hinnehmen, dass die Integrität eines gesamten Verbundes durch eine utopische Toleranz und Hingabe in Frage gestellt wird. Es ist nicht abzuverlangen, die Funktionalität einer Gesellschaft aus einer falsch verstandenen Nächstenliebe zu riskieren. Denn in einer irdischen und endlichen Wirklichkeit kann Barmherzigkeit nicht grenzenlos sein. Man mag sich für uns alle das Paradies auf Erden herbeisehnen. Doch die Wahrheit ist kein Wunschkonzert. Das Aufopfern erschöpft sich spätestens dann, wenn ihm nicht mehr Paragrafen und Konventionen im Wege stehen, sondern eine abstrus empfundene Kollektivschuld für die Vergangenheit, die lediglich als Feigenblatt für das Scheitern und Versagen des Einzelnen in der Gegenwart steht. Dass sich gerade die zu den Guten und Besseren zählenden Linken als Sankt Martin kasteien, um schließlich auch ihr letztes Hemd für den Unbekannten herzuschenken, rührt nicht von irgendwoher. Stattdessen ist es nicht selten die persönliche Leistungsbilanz und der Blick auf eine überschaubare und dürftige Lebensbiografie, die zu einer tiefsitzenden Scham gegenüber verpassten Chancen führen.

Selbige zu kompensieren, kann jedoch nicht die Aufgabe der im Jargon von Katrin Göring-Eckhardt als „Weiße“ bezeichneten Zivilisation sein, die auch deshalb mit sich im Reinen ist, weil die allermeisten von uns mit den schrecklichsten Kapiteln der Historie selbst nicht mehr in Berührung kamen – und auch keine ideelle Haftung für manch ein Verbrechen der Vorfahren übernehmen können. Was damals geschehen ist, das muss uns Erinnerung und Mahnung zugleich sein. Doch das Vergangene darf nicht zu einer fortwährenden Lähmung eines Miteinanders werden, von dem nicht einmal außenstehende Beobachter verlangen, sich weiterhin in einer bußfertigen Reue zu drangsalieren. Und so setzen sich insbesondere die nachkommenden Generationen über jegliche Vorhalte hinweg, sie müssten Schwarz-Rot-Gold allein deshalb verschmähen, weil Vaterlandsverbundenheit auch acht Dekaden nach dem Dritten Reich noch immer anrüchig sei. Sowohl manch ein Richter in Straßburg oder Luxemburg, aber auch Ursula von der Leyen und die Ökosozialisten bei uns spielen die Karte der Moralisierung vorbildlich, wenn sie uns unter die immerwährende Knute der Sühne nehmen wollen. Sie können sich ihre Schnappatmung sparen, wenn nicht mehr nur die Jugend einigermaßen unbeschwert mit der Forderung nach Remigration auf sich aufmerksam macht.

Denn weder kann man das Urteil ernstnehmen, wonach Afghan:innen allein aufgrund ihres weiblichen Geschlechts einen prinzipiellen Anspruch auf Unterkunft bei uns haben. Noch zieht das Argument, wir seien durch die unterschiedlichsten Vereinbarungen dazu genötigt, den hiesigen Steuerzahler und die deutsche Kultur für das Wohlergehen von Afrika oder dem Mittleren Osten ausbluten zu lassen. Sollte der Mehrwert einer anfangs lediglich auf wirtschaftliche Zusammenarbeit fußenden Gemeinschaft, die sich heute Europäische Union schimpft, ausschließlich darin liegen, sich permanent reglementierten, erziehen und bevormunden zu lassen, ist sie überflüssig geworden. Nehmen die eingeschlagenen Entwicklungen ihren Lauf, so darf es am Ende auch mit Blick auf einen möglichen Dexit keine Denkverbote geben. Denn von einer Symbiose kann mittlerweile keine Rede mehr sein. Stattdessen baden wir die Idealvorstellungen derjenigen aus, die selbst die ersten Mürrischen wären, würde man in ihrer Nachbarschaft ein Flüchtlingsheim aus dem Boden stampfen. Von „Freude schöner Götterfunken“ ist kaum noch etwas übrig, weil auch Einigkeit und Recht und Freiheit zur Disposition stehen. Diese Zumutung ist nicht obligat, weshalb nun alle Karten ungeniert auf den Tisch gelegt werden müssen – und seien sie noch so unwoke.

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