Kommentar von Dennis Riehle
Sie wachsen mittlerweile wie auf Bäumen – von scheinen ungefähr so glaubwürdig wie Olaf Scholz, Friedrich Merz oder Ricarda Lang. Prinzipiell kann sich jeder von uns zum Experten machen – dafür bräuchte man nicht einmal einen Wochenendkurs. So ist es auch nicht wirklich verwunderlich, dass diese Fachleute aus dem Boden sprießen – und sich damit nicht selten einen Lebenstraum realisieren. Denn wer möchte sich nicht den ganzen Tag am immer gleichen Thema abarbeiten, das oftmals auch aus psychologischen Gründen tief in der Seele haftet. Da sind es also die Kenner des Klimawandels, die uns schon vor Monaten vorausgesagt hatten, dass wir den heißesten Sommer aller Zeiten erleben. Oder die Statistiker, die uns prognostizieren, dass die Grünen gute Chancen haben, den nächsten Kanzler zu stellen. Die unter dem Anstrich der Wissenschaftlichkeit agierenden Lobbyisten der Wärmepumpe, die keine andere Technologie für die Zukunft sehen, mit der wir die Durchschnittstemperaturen auf dem Globus drastisch senken können. Die Professoren und Doktoren, die noch immer daran festhalten, dass die Impfung die Pandemie beendet hat. Oder der barmherzige Samariter, der den Deutschen die Schuld daran gibt, dass sie mit Messern niedergestochen werden – denn sie haben es doch schlichtweg verpasst, den Flüchtling mit Kusshand aufzunehmen und ihm ein Dasein im Fünf-Sterne-Hotel zu ermöglichen. Und dann gibt es da noch die Versierten, die jeden Morgen vor dem Spiegel stehen, um sich eine neue Studie darüber auszudenken, mit der man wieder und wieder auf die AfD einknüppeln könnte. Schließlich muss etwas gegen Nazis und Faschisten getan werden – die bei einer ehrlichen Betrachtung der Geschichte schon vor Jahrzehnten ausgestorben sind. Diese mit dem Rechtsextremismus Bewanderten werden nicht müde darin, auf Teufel komm raus ein Bild über die Alternative für Deutschland zu zeichnen, das nicht etwa dem Eindruck einer Mehrheit in diesem Land entspricht. Sondern welches noch weit darüber hinausgeht, was uns der Verfassungsschutz über diese Partei zu berichten weiß.
Und so ist das Interview mit Hendrik Cremer, das auf „t-online“ veröffentlicht wurde, wieder einmal ein solches Beispiel, wie engstirnig, verblendet und fanatisiert ein Mensch werden kann, der es sich offenbar zur Aufgabe gemacht hat, höchstpersönlich die Argumentationsgrundlage für ein Verbot der Blauen zu liefern. Denn genau dieses fordert er ein, weil er in der kritischen Opposition nicht nur eine Verfassungsfeindlichkeit erkennt. Er möchte ihr auch das Prädikat eines kämpferischen und aggressiven Auftretens anhängen, welches im Zweifel ein wesentliches Kriterium wäre, um in Karlsruhe erfolgreich zu sein. Mit seiner Inbrunst beklagt er das bisherige Einstufen als lediglicher Verdachtsfall für völlig unzureichend – und kritisiert selbst die am weitesten links liegenden Medien, noch immer ein geschöntes Bild von Weidel, Chrupalla, Krah, Höcke oder Springer zu zeichnen. Glaubt man also seinen Worten, haben wir es nicht nur mit dem Bösen, dem Teufel und dem Untergang zu tun. Der Hass auf Sympathisanten, Wähler, Funktionäre und Mandatsträger der AfD hat bei diesem Scharfmacher mittlerweile eine nahezu paranoid anmutende Dimension angenommen, dass man sich tatsächlich die Augen reiben muss, von wem aus hier zu Gewalt anstachelndes Vokabular ausgeht. Dieser von jeglichen Prinzipien der Empirie und Evidenz weit entfernte Demagoge stellt Mitmenschen auf die unterste Stufe – und degradiert damit Millionen zu potenziellen Aufrührern, die bei Bedarf nicht davor zurückschrecken würden, das Konzept der Remigration auch mit Brachialität und gegen jegliche Prinzipien von Würde und Gesetz durchzuziehen. Und obwohl es mittlerweile ein ziemlich monotoner Leierkasten ist, werden zumindest suggestiv viele Vorurteile wie Homophobie, Fremdenfeindlichkeit oder Rückwärtsgewandtheit postuliert, für die es aber auch in diesem Fall wiederum an konsistenten und plausiblen Belegen fehlt. Denn es ist der stets gleiche Fehler, aus einzelnen Zitaten, Einlassungen und Positionen von mehr oder weniger relevanten Vertretern der Alternative für Deutschland auf die Gesamtheit der Programmatik, des Personals und deren Willen zu schließen.
Es genügt den Anforderungen der roten Roben nicht, wenn in einer politischen Kraft eine völkische Gesinnung vorherrscht, die nicht etwa auf die Abwertung jedes Fremden allein aufgrund von dessen Herkunft oder ethnischer Zugehörigkeit ausgerichtet ist. Stattdessen ist eine solche Mentalität stets positiv konnotiert – und sagt lediglich etwas darüber aus, dass wir dem Vorrangigkeitsgebot anhängen sollen, welches beispielsweise auch schon die Bibel kennt. Die Zuwendung zu den Ausgegrenzten in unserem eigenen Verbund soll der Unterstützung und Hilfe für jene gegenüber präferiert werden, welche teilweise in tausenden Kilometern entfernten Ländern dem wirtschaftlichen und sozialen Schicksal ausgesetzt sind – aber nicht in ihrer Existenz bedroht werden. Und hinter der abgedroschenen Erzählung einer Deportation von unzähligen Bürgern mit Migrationshintergrund verbirgt sich in Wahrheit nichts Anderes als die Bemühung, durch eine Falschbehauptung ein Narrativ aufrecht zu erhalten, welches mit dem tatsächlichen Ansinnen nichts zu tun hat. Es geht allein um die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, die auf Grundlage von Art. 16a GG nur denjenigen Schutz und Obdach bietet, die nachweislich verfolgt sind. Abschiebungen und Rückführungen sind in unseren Gesetzen fest verankert. Sie haben weder etwas Anrüchiges noch Illegitimes. Und auch das Beharren auf den Fortbestand unserer deutschen Volkszugehörigkeit läuft keiner einzigen Konvention zuwider, sondern er findet sich als Auftrag an uns alle in Art. 116. Und wenn es der Partei am Ende um die Weiterentwicklung unseres repräsentativen Systems in Richtung plebiszitärer Verhältnisse geht, so ist dies kein Angriff auf die Demokratie, sondern ein Bekenntnis zur Partizipation der Basis – die eigentlich in schwierigen Zeiten selbstverständlicher denn je sein sollte. Und so bricht auch dieses Kartenhaus wieder in sich zusammen, das ein Sprachrohr der Ampel dem Publikum als bare Münze verkaufen wollte. Aber glücklicherweise nimmt die Sensibilität für das Erkennen schlichter Agitation und blanker Polemik in einer Dekade des wachsenden Totalitarismus beständig zu – und die Mündigkeit des Einzelnen gewinnt endlich wieder an Fahrt.