Kommentar von Dennis Riehle
Es gehört zu den psychologischen Instrumenten der Vereinfachung, sich angesichts der Komplexität der Wirklichkeit in ein Denken zwischen Gut und Böse, zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Richtig und Falsch zurückzuziehen. Denn Differenzierung ist zwar eine Tugendhaftigkeit, aber gleichsam nicht selten anstrengend und zeitaufwändig. In einer schnelllebigen Zeit bleibt für so etwas wenig Raum. Und so ist es auch kaum erstaunlich, dass in unserer Gesellschaft immer öfter in Lager geteilt, in Schubladen gesteckt oder in Vorurteilen und Ressentiments einsortiert wird. Nicht selten geht man nach dem Hörensagen – und beurteilt das Gegenüber aufgrund des Leumunds, welcher ihm oftmals durch eine recht voreilige Zuschreibung durch die Öffentlichkeit angeheftet wird. Brandmarkung hat in einer Dekade wiederum Hochkonjunktur, die an manch einen Totalitarismus der Vergangenheit erinnert. Denn nicht nur die aktuelle Brachialität der Ausgrenzung, Repression und Gängelung von politischen Widersachern ist in der jüngeren Geschichte einzigartig. Auch das Vororten in bestimmte Denkrichtungen hat sich von jeglicher Verhältnismäßigkeit losgelöst. Da sind es also die selbsternannten Korrekten, welche sich in ihrem gutgläubigen Hochmut dazu aufschwingen, all jene kurzerhand als Faschisten zu diffamieren, die nicht einer linken Gesinnung anhängen. Einmal völlig abgesehen davon, dass wohl die wenigsten Anwender dieser Begrifflichkeit tatsächlich definieren können, woher der Ausdruck eigentlich stammt – und dass er eher etwas mit einer internationalistischen Arbeiterbewegung zu tun hat, die wahrlich keine autochthonen Bestrebungen hegte -, zeigen sich die Demagogen vom Vorwurf der Geschichtsglättung und des Revisionismus schlimmster Kapitel unserer Historie einigermaßen unbeeindruckt.
So sieht Saskia Esken nicht wirklich ein, warum ihr Vergleich zwischen der AfD und Joseph Goebbels in der Nachrichtensendung des österreichischen Fernsehens auf scharfe Kritik stieß. Auch ihr Co-Vorsitzender Klingbeil fühlt sich in der Gleichsetzung der Alternative für Deutschland und all ihrer Unterstützer mit Nazis dem Übel überlegen. Satiriker Böhmermann möchte die von ihm verhasste Spezies strenggläubiger Patrioten kurzerhand „keulen“. Sein Mitarbeiter Sebastian Hotz bedauert es sehr, dass der offenbar von ihm als rechtsextremistisch angesehene US-Präsidentschaftskandidat Trump bei seinem Attentat lediglich am Ohr verletzt wurde. Und auch der Bundespräsident gibt keine gute Figur ab, wenn er offenbar in großer Unwissenheit über die Erzählung des Rattenfängers eine Partei und ihre Wähler zumindest metaphorisch animalisiert. Wenn es zu einem tätlichen Übergriff auf die Blauen kommt, dann wird dies als legitimer Schritt zur Verteidigung der Demokratie legitimiert – und gerade im ÖRR ohnehin verschwiegen. Dagegen wird der Notstand ausgerufen, wenn es an einem Wahlkampfstand der SPD zu einer flüchtigen und moderaten Beleidigung kommt. Das zweierlei Gewicht – mit dem das Individuum entgegen Art. 1 und 3 GG mittlerweile nicht nur in seiner Würde abgestuft und eben nicht als gleichwertig betrachtet wird, sondern sämtliche Maßnahmen der Tyrannei, Zensur und Unterdrückung hinnehmen muss, während ein Aufschrei der Gerechten durch die Republik geht, wenn über die Figürlichkeit manch eines Grünen gewitzelt wird -, ist nicht nur erschreckend und beschämend für ein Kollektiv, das sich doch eigentlich bewusst sein sollte, wohin die Degradierung von Andersdenkenden im Zweifel führen kann. Dass mittlerweile Geschäfte und Betriebe boykottiert werden, in denen sich ein Unternehmenschef als prinzipiell zugänglich für Ideen und Konzepte einer bis heute aus guten Gründen nicht verbotenen Partei zeigt, weckt bei aller Vorsicht gegenüber Superlativen eine besorgniserregende Assoziation.
Die Bereitschaft und das Potenzial zur Verallgemeinerung, Pauschalisierung und Generalisierung ist immens. Denn mittlerweile werden all diejenigen in einen Topf geworfen, die von einer wertkonservativen Bürgerlichkeit bis hin zu einer völkischen und nationalistischen Überzeugung beseelt sind. Unterschiede gibt es für diejenigen nicht mehr, die Mauern nach oben ziehen – und in ein Diesseits und Jenseits spalten. Welchen Schaden sie dabei an der Integrität, am Vertrauen und am Zusammenhalt eines Gefüges anrichten, das ohnehin durch eine massive kulturelle Erosion ins Wanken gerät, ist ihnen auch deshalb nicht bewusst, weil es ihnen an einer Erziehung der Akzeptanz und des Respekts gegenüber jedem fehlt – insbesondere auch hinsichtlich der Mitglieder in ihrem eigenen Verbund, die völlig berechtigt unterschiedlicher politischer Auffassung sein dürfen. Weil sie mit ihren – in Göring-Eckardts Manier als „Weiße“ bezeichneten – Landsleuten aber ohnehin nicht viel anfangen können und eine Heimatverbundenheit als rückwärtsgewandt, altmodisch und anrüchig abtun, muss man ihr Verhalten möglicherweise stellvertretend für eine Dissoziation sehen, welche im Rahmen ihrer Persönlichkeitsentwicklung zumindest auf der Ebene des Unterbewusstseins abläuft. Es liegt in der Natur unseres Stammes, dass wir uns permanent von demjenigen trennen wollen, was wir als nicht zu uns gehörig wahrnehmen. Oftmals sind es dabei Lasten aus dem Damals, gleichwohl aber auch eine ernüchternde Leistungsbilanz oder desaströse Lebensbiografie, mit der man sich auch deshalb nicht identifizieren kann, weil man sich insgeheim seines selbstverschuldeten Scheiterns im Klaren ist. Dann werden Sündenböcke für ein Versagen gesucht, die mit dieser Bankrotterklärung nichts zu tun haben. Doch sie müssen am Ende für nichts Anderes herhalten als die Todsünde des Neides. Deshalb werden auch künftig vor allem diejenigen nicht vor Aufwiegelung, Propaganda und Infiltration zurückschrecken, die zu den eher bemitleidenswerten Geschöpfen in unserem Miteinander zählen.