Kommentar zum Artikel „Finanzpaket von Union und SPD: Verfassungsgericht weist weitere Eilanträge ab“ (aus: „Tagesschau“ vom 17.03.2025)
Wozu braucht ein Land Feinde, wenn es ein Bundesverfassungsgericht hat? Diese Frage kann man sich in diesen Tagen durchaus stellen. Denn nicht zum ersten Mal hat man den Eindruck, dass die roten Roben mit einer äußerst merkwürdigen Entscheidungspraxis sämtliche Versuche abweisen, den von einem Angola-Bündnis eingeschlagenen Weg der massiven monetären Zusatzbelastung der Republik mit Brachialität in einem eigentlich nicht mehr legitimierten Parlament zu stoppen. Staatsrechtler schütteln den Kopf angesichts der Begründungen aus Nordbaden, dass es keinen Anhaltspunkt dafür gebe, nach dem Urnengang über die Neubesetzung des Plenums in Berlin auf die Idee zu kommen, dass die bisherige Formation im bekanntesten Kuppelgebäude keine Legitimierung mehr besitzt. Es hinterlässt einen faden Beigeschmack, wenn in der abgelaufenen Sitzverteilung über Grundgesetzänderungen von tragender Wichtigkeit für unsere Zukunft votiert wird. Ist man doch ansonsten stets mit Bedacht darauf aus, sämtliche Formfehler zu ahnden, macht man dieses Mal wohl eine Ausnahme. Und ausgerechnet in einer Phase, die für die Union von koalitionärer Brisanz ist, entpuppen sich jene als übereilt schlagfertig, die ansonsten Monate lang über Abwägungen sinnieren.
Denn während in Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG zu lesen ist, dass es des Antrags eines Drittels der Mitglieder des Hohen Hauses bedarf, um zu einer Sondersitzung zusammenzukommen, hat bei Bärbel Bas offenbar nicht explizit die konkrete Zahl an Abgeordneten einen solchen Vorstoß proklamiert, sondern allein die Fraktionsoberen im Auftrage. Kann es darüber hinaus im Sinne des Souveräns sein, dass man einen Webfehler der Väter unserer Statuten ausnutzt, die es offenbar versäumt haben, in den passen Absätzen zu formulieren, wonach die Beschlussfähigkeit des nunmehr überholten Bundestages mit dem Sonntag der Wahl entfällt? Es ist ein Schlag ins Gesicht der Demokratie, wenn sich sukzessive die Wahrnehmung verfestigt, es könnte möglicherweise zu viele gemeinsame Abendessen von Richtern und den Mächtigen an der Spitze dieser Nation gegeben haben, weil nicht nur für den Laien die Nachvollziehbarkeit der Urteile aus dem Hause von Stephan Harbarth bröckelt. Es sind ausgewiesene Experten, die die Unabhängigkeit in Frage stellen, wenn unter seinem Dach Argumente formuliert werden, die augenscheinlich Friedrich Merz in die Hände spielen – und in einer Geschwindigkeit niedergeschrieben sind, dass der externe Betrachter kaum an Zufall denken kann.
Nicht nur die Parteivergangenheit des Präsidenten in der CDU und die engen Kontakte zu Angela Merkel sind für viele Beobachter anrüchig und ein Dorn im Auge. Zwar gibt es manche Lichtmomente, wenn man beispielsweise den Nachtragshaushalt 2021 der Ampel für nichtig erklärt. Oder sich in die Gesetzgebung über neue Heizungen für den kleinen Mann einschaltet. Doch gerade in Augenblicken, in denen man von der höchsten Justitia ein Machtwort erhofft, verstummt sie. Auch die zweiten Vorstöße aus den Reihen der Opposition im Zuge der aktuell anstehenden Aufweichung der Schuldenbremse und der Aufnahme sogenannter „Sondervermögen“ wurden abgeschmettert, obwohl es im Haushaltsausschuss einen gravierenden Vorfall gab. Die FDP hatte mit der nötigen Rückendeckung aus dem Gremium die weitere Anhörung von Fachleuten eingefordert, doch der Vorsitzende Helge Braun lehnte ab. Erneut haben sich die Wächter über unser elementares Regelwerk nicht dazu berufen gefühlt, per Eilentschluss zu intervenieren. Wozu taugt Karlsruhe überhaupt, wenn man die Senate nur noch als einen hehren Grüßaugust wahrnimmt, der niemandem mehr in die Parade zu fahren gedenkt? Letztlich werden Instanzen obsolet, bleiben sie in denkwürdigen Augenblicken ohne jede Reaktion.
Der ständige Rückzug auf den Standpunkt, man wolle nicht in die Selbstverwaltung der Volksvertretung eingreifen, geht schon allein deshalb fehl, weil die drei Gewalten bei uns gleichbefugt sind. Insofern fehlt es offenbar am Bewusstsein, manch einem Treiben der Legislative ein Ende zu setzen. Über die Ursachen kann man nahezu ins Unendliche spekulieren. In einer Phase der Geschichte, welche von einem durchaus als korrupt zu bezeichnenden Verhalten von politischen Protagonisten gezeichnet ist, scheint es keine Verschwörungstheorie mehr zu sein, hinter all dem Schauspiel auf der Bühne eine Inszenierung und das Drehbuch der Eliten zu vermuten. Die geltende Praxis über die Besetzung der Assessorenstühle muss ohnehin sauer aufstoßen. Denn da werden nicht selten Marionetten ins Amt gehoben, die nur schwerlich neutral sein können. Die Verwobenheit zwischen den Organen ist mittlerweile derart offenkundig, dass nicht nur das zeitgeistige Doppelmaß beim Freispruch für den Messerattentäter einerseits und der Sanktionierung des Grünen-Kritikers andererseits als völliger Schiefstand unseres Rechtswesens gilt. Die Unterstellung moralischer Verdorbenheit ist am Kopf des Fisches angelangt, der nicht nur stinkt, sondern fault.
Autor: Dennis Riehle