Kommentar von Dennis Riehle
In diesen Tagen erhalte ich böse E-Mails von Kollegen Flüchtlingshelfern aus der nahen und fernen Umgebung, wie ich es mehrmals wagen konnte, aus meiner täglichen Arbeit als Integrationsberater über die wahrhaftigen Erfahrungen zu berichten – oder mit Blick auf die hier Ankommenden aus der Ukraine meinen Eindruck wiederzugeben, wonach es eben doch die sozialen Sicherungssysteme sind, die den wesentlichen Pull-Faktor für die Einreise nach Deutschland darstellen. Gleichermaßen erreichen mich täglich viele Anfragen von Fachstellen und Institutionen, die sich mit Blick auf Eingliederungsleistungen für Migranten über meine Einschätzung und Einordnung freuen. Und die gleichsam auch dankbar dafür sind, dass jemand Tacheles spricht. Und es sind sogar immer mehr Asylsuchende selbst, die bereits in einem weit fortgeschrittenen Stadium der Überprüfung ihrer Anträge oder nach einem positiven Bescheid mit Verbitterung monieren, dass es bezüglich des Obdachs für Bedürftige aus aller Herren Ländern in der Bundesrepublik regellos, willkürlich und ungerecht zugeht.
Da gibt es viele Hinweise auf, dass diejenigen besser gestellt sind, die ihre Pässe unterwegs verloren haben und ihre Identität verschleiern. Dass jene abgeschoben werden, die bestens bei uns angekommen sind, im Arbeitsmarkt gebraucht werden, ihre Ausbildung abgeschlossen haben oder mit einer beruflichen Qualifikation zu uns gekommen waren. Sie werden in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt, während wir jene auffangen, die selbst ungeniert zugeben, dass sie eigentlich nicht verfolgt werden und die Flucht nach Europa nur deshalb angetreten haben, um hier ein besseres Leben zu führen – für sich selbst und für die Familie in der Heimat. Denn natürlich kann ich mich in einer Traumwelt verschanzen, in der ich nur das Gute im Menschen sehe – und dabei naiv ausblende, dass es ja eigentlich nur allzu verständlich ist, sich dort zu bedienen, wo ein Land seine Hilfe gutgläubig jedem anbietet, der an der Grenze nach Asyl ruft.
Es geht eben nicht mehr vorrangig danach, ob jemand eine Bleibeperspektive vorweisen kann – oder einen anerkannten Fluchtgrund belegt. Auch nicht darum, inwieweit jemand zum Respekt, zum Anstand und zur Anpassung an unsere Kultur, Werte und Demokratie bereit ist. Mittlerweile werden wir die Geister nicht mehr los, die wir riefen, als wir uns beispielsweise in einer falsch verstandenen Solidarität dazu entschieden haben, dem durch den imperialistischen Angriff von Putin verwundeten Volk Selenskyjs durch eine nahezu unbegrenzte Unterstützung zur Seite zu stehen – und sämtliche um Schutz ansuchende Ukrainer sofort in den Bürgergeld-Bezug einzugliedern. Denn ich bekomme wiederkehrend Nachrichten von Geflohenen aus dem Nordwesten und Südwesten des Landes, die noch nicht eine Rakete gesehen oder von irgendeiner militärischen Handlung direkt oder mittelbar betroffen waren – aber den Krieg im Osten dazu genutzt haben, in der Bundesrepublik die großherzige und milde Spende in Anspruch zu nehmen, welche ohne weitergehende Prüfung der Vermögensverhältnisse oder der eigenen Betroffenheit gewährt wird.
Daneben lassen wir uns auch weiterhin nötigen, wenn sich Migranten bewusst und gewollt in Seenot begeben, um sodann in der weisen Voraussicht auf einen unmittelbaren Freifahrtschein für die Einreise und den Aufenthalt auf europäischem Territorium in sichere Häfen auf unserem Kontinent gebracht zu werden. Dass es ab diesem Zeitpunkt schwierig werden wird, sie wieder in ihrer ursprünglichen Länder zurückzuführen, davon können entnervte und mittlerweile frustrierte Behörden, Kommunalpolitiker und in der Flüchtlingshilfe Tätige in Deutschland ein Lied singen. Ihnen werden die Kapazitäten und Ressourcen genommen, die sie eigentlich dafür aufwenden wollten, sich den Menschen zuzuwenden, die nach Artikel 16a GG und gemäß der internationalen Konventionen einen tatsächlichen Anspruch darauf haben. Doch das System wird verstopft und erodiert durch all jene mit dem Ansinnen nach Bargeld, welches sie ohne irgendeine Reue auf direktem Weg zurück zu den Anverwandten weiterleiten, die von Afrika bis in den Mittleren Osten sehnlichst darauf warten. Und solange nicht die Beschlüsse der europäischen Innenminister zur Überprüfung von Aussichtschancen auf Anerkennung eines entsprechenden Status an den Außengrenzen der EU umgesetzt und diejenigen zurückgeschickt werden, die selbige Verfahren erfolglos durchlaufen haben, wird sich auch an der Zahl der Anträge in unserem Land nichts ändern. Wer angesichts dessen weiter die offenen Arme der Bundesrepublik preist, der macht sich der Inhumanität und Unfairness gegenüber allen schuldig, die in dieser Praxis das Nachsehen haben.