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Wahlmüdigkeit ist in diesen Zeiten keine Option – auch wenn es der Focus wohl anders sieht!

Kommentar von Dennis Riehle

Wäre ich nicht grundsätzlich gelassen, geduldig und in mir ruhend, hätte ich nicht erst in diesen Tagen Blutdruck bekommen. Denn es ist für mich als Journalist eine Tragödie, den Untergang meiner einst durchaus anerkannten Berufsgruppe mitverfolgen zu müssen – deren katastrophaler Ruf in der Bevölkerung allerdings mehr als gut nachvollziehbar ist. Denn auch ich komme kaum noch aus der Empörung heraus, die sich bei mir mit nahezu jedem Fernsehbeitrag des ÖRR oder sämtlichen Kolumnen der Systempresse noch ein Stückchen mehr verfestigt. Es ist eigentlich nur noch zum Fremdschämen, was sich all die Muckraker an böswilligen, arglistigen und bewussten Verfehlungen leisten – und in einer beispiellosen Art und Weise die Einflussmöglichkeiten der vierten Gewalt dafür missbrauchen, für ein bisschen Wohlgesonnenheit der Ampel jegliche Grundsätze und Prinzipien aufzugeben. Ich habe diesen Job aus Leidenschaft gewählt – nicht in erster Linie aus monetären, karrieristischen oder gar machtansprüchlichen Gründen. Und so ist es mir auch vollkommen fern, mich mit Berichterstattung oder Kommentierung zu erdreisten, den mündigen Zuschauer oder Leser zum Denken an die Hand zu nehmen. Mit welcher Übergriffigkeit viele Leitmedien heute an der souveränen Bewusstseins- und Meinungsbildung mitwirken möchten, schlägt jedem ethischen Fass den Boden aus. Und so habe ich beispielsweise auch kein Verständnis dafür, wenn der von mir einst geschätzte Jan Fleischhauer aktuell im „Focus“ mit einem Zwischenruf aufmacht, dessen Scherzhaftigkeit mich nicht erreicht – und dessen gewöhnungsbedürftige und kokettierende Unbedarftheit adäquat dazu geeignet scheint, die Begeisterung am einzigen Instrument zu nehmen, das uns in unserem repräsentativen System zur Teilhabe an die Hand gegeben ist.

Er macht bereits mit dem Titel deutlich, welchen Zweck seine Zeilen erfüllen sollen. Denn wer die Frage in den Raum wirft, was wir in der derzeitigen Situation am besten wählen sollen – und dann auch noch zusichert, dass wir nach der Lektüre seines für mich unrund anmutenden Abrisses darüber Bescheid wüssten, wie wir am 9. Juli keinen Fehler machen, muss sich zwangsläufig mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, dass nicht jeder sofort den sarkastischen Wesenszug dieses zugegebenermaßen kurzweiligen Aufsatzes erkennen dürfte. Denn der Bürger ist aktuell einigermaßen allergisch gegen jeden Versuch der plumpen Indoktrination. Immerhin brauchen wir in einer Demokratie keinen erhobenen Zeigefinger, der uns bei der Suche nach dem richtigen Kreuz auf dem Stimmzettel dazu ermahnt, ausgesuchte Gesichtspunkte zu berücksichtigen – und wiederum andere unter den Tisch fallen zu lassen. Es ist ein Ausdruck von Hochmut, Selbstüberschätzung und Anmaßung in gleichen Teilen, sich als Oberlehrer zu inszenieren, der mit flapsigen Argumenten eine Partizipation an der Entscheidung des Einzelnen beansprucht, welche politische Kraft am Ende den Zuschlag erhalten soll – und wessen Fürsprache wir geflissentlich unterlassen dürfen. Wenngleich man zweifelsohne eingestehen muss, dass sein Text in der Sache keine falschen Aussagen enthält – sondern vor allem auch mit einem gewissen Spott, Sarkasmus und Ironie auf die Bedeutung des EU-Parlaments und die Arbeit mancher bisherigen Abgeordneten blickt -, so kann man doch auch mit einer subtilen Aussparung von manchen Informationen, mit einer wohlüberlegten Aneinanderreihung von Feststellungen und mit einer dezidierten Überbetonung von gewissen Details einen verführerischen Charakter des an sich inhaltlich nicht zu beanstandenden Artikels erwirken, dessen Intention offenbar sein soll, dass es sich möglicherweise kaum lohnt, sein Recht auf Mitsprache überhaupt auszuüben – weil man ja doch nichts verändern könne.

Während er sich also in Sachen einer allzu offensichtlichen Belehrung, Moralisierung und Intervention einigermaßen bedeckt hält, so ist doch eine indirekte Suggestion mit nahezu jedem neuen Satz spürbar. Schlussendlich verhaftet der Eindruck, er Fleischhauer wolle uns das Votum mit Blick auf den fernen Bürokratenapparat um Ursula von der Leyen madig machen. Seine Ergüsse strotzen nur so vor Demotivation und Frustration über das, was die überbezahlten Mandatare von Gurkenkrümmung über Ölkännchen bis zu Schraubverschlüssen an völlig sinnlosen Beschlüssen fassen. Dabei übersieht er aber, dass bis zu drei Viertel der in unserem Bundestag verabschiedeten Gesetze zumindest auf eine Veranlassung aus Brüssel zurückgehen. Und selbstredend teile ich das Attest über die die mittlerweile weit verbreitete Politikverdrossenheit, die nicht wenige von uns achselzuckend heimsucht. Gleichermaßen halte ich es für einigermaßen unverantwortlich, wenn sich Schreiberlinge augenscheinlich überhaupt nicht dafür erwärmen können, elektiven Vorgängen etwas Positives abzugewinnen. Missgünstige Zungen könnten nämlich in einem solchen Fall durchaus unterstellen, dass sich der Autor zwischen den Phrasen dafür ausspricht, am Wahlsonntag bedarfsweise zu Hause zu bleiben. Und gerade das wäre in der jetzigen Situation, in welcher es auf allen Ebenen um maßgebliche Weichenstellungen für die Zukunft geht, für meinen Begriff die völlig falsche Antwort auf den politischen Irrsinn dieser Wochen. Es ist besonders die Alternative für Deutschland, die angesichts massiver Hetzkampagnen auf die Mobilisierung ihrer Klientel angewiesen ist. Daher wäre nicht gänzlich auszuschließen, dass auch der vorliegende Essay in seiner überbordenden Müdigkeit und Schwäche als Werkzeug zur Agitation dienen soll. Deshalb sehe ich es in meinem Verständnis der Publizistik als entsprechenden Auftrag, dieser Impression des Kollegen meinen Aufruf entgegenzusetzen, sich nicht davon entmutigen zu lassen, jeder Form der Lenkung, Weismachung und Verunsicherung am übernächsten Wochenende die blaue Karte zu zeigen!

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