Kommentar von Dennis Riehle
Es war in vielen Medien nur eine Randnotiz, doch gerade die zeitgeistige Presse hat eine Entscheidung der Stadt Suhl in Thüringen aufgegriffen, die zu einem Politikum geworden ist. Denn nachdem der Souverän von Erfurt bis Potsdam aufgrund der jüngsten Wahlergebnisse und dem deutlichen Zuspruch für die AfD ohnehin mit Argusaugen beobachtet wird, scheint man jede noch so unbedeutende Kleinigkeit auf die Goldwaage zu legen. Da echauffiert sich also manch ein journalistischer Haltungskollege darüber, dass die Gemeinde zwischen Lauter und Hasel eine Partnerschaft mit dem ukrainischen Podilsk ablehnt – weil sie negative Auswirkungen auf die gleichzeitig bestehende Verbundenheit mit dem russischen Kaluga fürchtet. Prompt wirft man dem fränkisch geprägten Oberzentrum im Süden des Freistaates eine arglose Unterstützung von Putins Imperialismus vor. Und weil es in diesen Tagen so modern und en vogue ist, in Schwarz und Weiß, Gut und Böse zu denken, darf es in der blau-gelben Loyalität mit Selenskyj keinerlei Störfaktoren geben. Denn wie uns auch der Kanzler in der Fernsehsendung von Caren Miosga wissen ließ, sind wir nach dem Sieg von Trump dazu verdammt, Kiew bis zum bitteren Ende unter die Arme zu greifen.
Einst war Mallorca unser 17. Bundesland. Heute ist es der Donbass, wo nach Meinung kriegstüchtiger Verteidigungsminister unsere Sicherheit gewährleistet wird. Es gibt für mich nichts an der Tatsache zu rütteln, dass der Angriff vom 24. Februar 2022 auf einen integren Staat nicht zu rechtfertigen ist. Doch blickt man nüchtern auf die Entstehungsgeschichte dieses Konflikts, so kann man zumindest den Gedankengang nachvollziehen, welcher den Kreml dazu bewegt hat, seinen militärischen Überfall zu starten. Zu entschuldigen ist er nicht. Denn tatsächlich hatten wir uns eigentlich darauf verständigt, im 21. Jahrhundert Grenzen nicht mehr mit Gewalt zu verschieben. Gleichsam ist es ein erheblicher Vertragsbruch des Westens gewesen, den zumindest mündlich vereinbarten Verzicht auf eine weitere Expansion der NATO kurzerhand fallen zu lassen. Man hat sich immer weiter gen Osten ausgedehnt. Und mindestens mit den Vorkommnissen auf dem Maidan wurde der Einfluss und Druck aus dem fernen Washington und Brüssel mehr als deutlich. Während der bis 2014 weilende Präsident Janukowytsch penibel darauf achtete, dass die verschiedenen Regionen mit ihren Ansinnen und Historien berücksichtigt werden, vernachlässigte sein Nachfolger Poroschenko die Bedürfnisse der russophilen Minderheiten konsequent.
Ihre Rechte zu wahren, das schien zumindest vordergründig der Ausschlag gebende Beweggrund, weshalb es letztlich zu einer mittlerweile bis in die Unendlichkeit prolongierten Auseinandersetzung kam, in der kaum noch einen Fortschritt für eine der beiden Seiten erzielt wird. Dafür sterben jeden Tag Unschuldige, weil man es bereits wenige Monate nach dem Ausbruch der Kampfhandlungen versäumte, in Diplomatie und Verhandlungen einzusteigen. Und je länger die Gewalt nun andauert, umso mehr stumpfen auch wir und unsere Obrigkeit mit Blick auf ständig neue Lieferungen an Material und Gerät ab. Sie werden Alltag, obwohl wir uns nie an Potenz gewöhnen dürfen. Natürlich kann das Argument vorgebracht werden, dass der Machthaber zwischen Ural und Sibirien überhaupt nicht bereit ist, in einen Austausch einzusteigen. Doch wann wurde zuletzt versucht, Gesprächskanale wieder zu nutzen? Gleichzeitig muss man einen weiteren Vorwurf an die USA samt ihrem Anhängsel namens Europäische Union richten, die Ausfahrt in Richtung Frieden wiederholt verpasst zu haben. Und das möglicherweise nicht nur fahrlässig. Denn diese festgefahrene Tragödie, in der Menschenleben und Maschinen verheizt werden, ist nicht zuletzt auch ein Duell der Stellvertreter. Amerika will seinem Widersacher die Stirn bieten, weil es weiterhin an einer Weltordnung festhält, die nicht mehr den Realitäten der Gegenwart entspricht. Denn wie unverhohlen haben nicht nur Biden und seine demokratischen Vorgänger zum Ausdruck gebracht, dass man weiter auf einer Vormachtstellung beharrt.
Doch eine Balance der Kräfte kann es nur geben, wenn das Gefüge ehrlich und gerecht austariert wird. Und da scheint vielleicht die ein oder andere Kommune bei uns schon weiter, wenn sie sich nicht für eine einseitige Parteinahme hergibt. Denn was hat es dem deutschen Interesse bisher gebracht, uns wieder einmal in etwas einzumischen, was uns eigentlich kaum etwas angeht? Ich persönlich befinde mich nicht in Rivalität mit Moskau. Und weshalb unsere Regenten die Beziehungen dorthin voreilig und prompt preisgegeben haben, obwohl es augenscheinlich die Gelegenheit gegeben hätte, sich als Vermittler einzubringen, statt die Ausrüstung unserer Armee bis aufs letzte Hemd zu veräußern, wird sich nur derjenige erklären können, der in transatlantischer Überheblichkeit und Moralisierung jedwede Zwietracht auf diesem Globus befeuert. Wir haben uns nach meinem Dafürhalten viel zu lange in eine Abhängigkeit begeben, anstatt den Wert von Neutralität und Ungebundenheit zu schätzen. Insbesondere aufgrund unserer Vergangenheit wäre es ein Gebot der Stunde, Eigenständigkeit und Selbstbestimmung zu erlangen – und sich auf Willy Brandts pazifistische Ader zu besinnen. Stattdessen sind wir Handlanger für eine weitere Verhärtung der Fronten. Und schaden damit nicht nur dem deutschen Steuerzahler, sondern der Chance auf Vernunft, Kompromiss und schweigende Waffen.