Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „‚… die ersten Schritte zu den Gaskammern‘: Historiker vergleicht im Deutschlandfunk die AfD mit der NSDAP“ (aus: NiUS vom 24.04.2025)
Was hat man uns als Schülern die dunklen Kapitel der deutschen Geschichte nicht von jeglicher Perspektive aus gleich mehrmals nahegebracht, um unter anderem Aufklärung darüber zu leisten, welche politischen Konstellationen dafür sorgen konnten, dass es zur Diktatur des Nationalsozialismus kam. Und ja, diese Bildung und Sensibilisierung war nötig. Im Zusammenhang mit der Weimarer Republik und den empfundenen Erniedrigungen nach dem Ersten Weltkrieg keimte in der deutschen Bevölkerung ein über das gesunde Maß hinausgehendes Selbstbewusstsein auf, das sich mit dem Narzissmus blutrünstiger und gnadenloser Charaktere sowie fehlenden Mechanismen zur Verhinderung einer allzu unbeschwerten Machtergreifung paarte. Es gab gleich mehrere Schwachstellen, die nach 1945 genau aus der schrecklichen Erfahrung dieses allzu schnellen Ritts durch alle Instanzen von Hitler und seinen Schergen mit wesentlichen Elementen der Gewaltenteilung in der Verfassung abgestellt wurden. Die Mentalität des Sündenbocks, welcher in Juden und anderen Minderheiten gesucht und gefunden wurde, hatte sich nicht zuletzt auch deshalb bis ins Unvorstellbare von Menschenverachtung und Hass gesteigert, weil man sich im Kollektiv darüber einig war, dass das Versagen nicht etwa bei den Herrschern ansässig ist. Sondern man erahnte eine irrwitzige Schuld bei einer durch ethnische und religiöse Merkmale verbundenen Bevölkerungsgruppe, für die eine krakeelende Menge allein wegen Vorurteilen und Ressentiments pure Verachtung Missgunst und Zorn hegte.
Das Prinzip der Sippenhaft war geboren, ein Aufwiegeln ohne substanzielles Fundament brach sich bahn. Subsumiert man nun all diese Variablen zu einer Gleichung, dann müsste auch jedem Historiker wie Schuppen von den Augen fallen, dass keine einzige Stellschraube der Vergangenheit heute ähnlich verfangen hat. Und doch gibt es tatsächlich sogenannte Experten wie Thomas Weber von der Universität in Aberdeen, der in einem aktuellen Interview mit dem Deutschlandfunk auf sich aufmerksam macht, weil er die profane Behauptung in den Raum setzt, Überlebende von Auschwitz hätten ihm anonym bestätigt, dass es damals auch so begonnen hätte, wie nun aktuell mit Blick auf die jüngsten Resultate der Meinungsforschung. Angeblich gäbe es deutliche Parallelen zwischen den steigenden Zustimmungswerten für die AfD im Hier und Jetzt – und der riesigen Unterstützung für die NSDAP vor rund einem Jahrhundert, will uns der Hochschullehrer weismachen. Wir seien sogar nicht mehr weit von Gaskammern entfernt, hört der mit beiden Beinen auf dem Boden stehende und von Vernunft durchzogene Bundesbürger aus Richtung eines Fachmanns, der schon öfter mit Biografien zum einstigen Führer von sich reden machte. Es ist eine haarsträubende Argumentation, die zu einem Augenblick keimt, in der Alice Weidel nicht nur die Union umrundet hat. Sondern die Umfragen machen auch unverhohlen deutlich, dass ein Gros der Wähler davon ausgeht, wonach die Blauen bei kommenden Urnengängen stabil an erster Stelle stehen werden.
Augenscheinlich braucht hier ein vereinsamtes Schäflein des Zeitgeistes wieder einmal etwas mehr Rampenlicht und Fokus für seine plumpe Inszenierung, um mit rhetorischen Superlativen um sich zu schmeißen, dabei aber die eigene Reputation auf Spiel zu setzen bereit ist. Denn ein Professor, der sich beruflich mit jener Epoche auseinandersetzt, die nicht ohne Grund als singulär und im Negativen einzigartig beschrieben wird, kann nur ohne Skrupel und Scham Parallelen ziehen, welche in ihrer Absurdität kaum zu überbieten sind. Schließlich findet sich weder in der Programmatik der Alternative für Deutschland irgendein Anhalt für strukturelle Fremdenfeindlichkeit, eine Ablehnung des demokratischen Systems oder das Negieren von Grundrechten und der Würde des Einzelnen. Kaum eine andere Partei hat derart viel Kompatibilität mit Homosexuellen, Migranten oder Behinderten. Teilweise stehen sie sogar in den vordersten Reihen. Allein die Forderung nach einer konsequenten Abschiebung von illegal eingereisten, gewalttätigen, fanatischen, nicht zur Eingliederung bereiten, die soziale Sicherung ausnutzenden, die hiesige Kultur ablehnenden oder unsere öffentliche Ordnung gefährdenden Flüchtlingen und Asylbewerbern hat nichts mit der prinzipiellen Aversion gegenüber dem Unbekannten zu tun, der mittlerweile nicht selten allein aus dem Bestreben eines besseren Lebens aus sämtlichen Gefilden zu uns strömt, weil es Linke und Grüne zulassen, entsprechende Paragrafen zu beugen und das Recht willkürlich auszulegen.
Unter Androhung der Moralkeule, wir seien nicht weltoffen und tolerant genug, wird das Prädikat der Vielfalt zu einer Bürde, sind mangelnde Grenzkontrollen und ein für jeden zugänglicher Kontinent doch Garant für die Verwundbarkeit von Integrität und Unversehrtheit der Europäer. Hier geht es nicht um die Deportation in Konzentrationslager, sondern um das Rückführen derjenigen in ihre ursprüngliche Heimat, die unter Berücksichtigung von Proportionalität und Relativität überdurchschnittlich häufig zu Straftaten neigen – oder schlichtweg keine Bleibeperspektive besitzen. Wer diesen Unterschied nicht zu erkennen und eingestehen willens ist, sollte sich sein Lehrgeld zurückgeben lassen. Denn wir können heutzutage auf den erhobenen Zeigefinger jener verzichten, die offenbar sämtliche Standards der Wissenschaft preisgeben, um mit Demagogie und Propaganda in den ideologischen Wettbewerb von Regierung und Opposition einzugreifen. Derartige Einflussnahme ist wiederum keine Seltenheit, sondern sie erinnert explizit daran, wie viele sich einst schuldig gemacht haben, weil ihre Verbrüderung mit den Spitzen des Staates zu ähnlicher Hetze führte, wie sie der Fall ist, wenn nach einer investigativen Veröffentlichung über das vermeintliche Geheimtreffen am Lehnitzsee Hunderttausende am Brandenburger Tor gegen Faschisten 2.0 aufmarschieren. Es ist mittlerweile nur noch peinlich, in welch Vergessenheit das „Nie wieder“ leichtfertig in Frage gestellt wird. Und man kann nur hoffen, dass sich die wahren Populisten irgendwann dessen bewusst werden.