Kommentar von Dennis Riehle
Wofür brauchen wir einen Rechtsstaat, wenn die von Parlamenten beschlossene Bestimmungen nur noch Makulatur sind? Diese ernsthafte Frage muss man sich in diesen Tagen an vielen Stellen vergegenwärtigen, wenn nicht nur unsere Bundesinnenministerin, sondern insbesondere auch ihr Behördenchef Haldenwang völlig unverhohlen mit totalitären Phrasen der Ankündigung um sich werfen, künftig noch stärker diejenigen beobachten zu wollen, die sich mit ihren Meinungsäußerungen zwar deutlich unter der Strafbarkeitsgrenze bewegen, allerdings aus Sicht der Exekutive Standpunkte vertreten, die man aus ihrer Warte heraus als verfassungsfeindlich einkategorisieren darf. Der für eine Demokratie eigentlich notwendige Konsens, sich in einer gemeinsamen und öffentlichen Debatte politisch und gesellschaftlich über die Definition dessen zu verständigen, was wir nicht nur als anrüchig oder provokativ wahrnehmen, sondern das explizit darauf ausgerichtet ist, unser derzeitiges Herrschaftssystem mehr oder weniger gewaltsam überwinden zu wollen, wurde ohne Scham aufgekündigt und gilt nicht mehr. Und so war die Pressekonferenz der beiden Akteure einigermaßen geschichtsträchtig, als der neueste Bericht der Kölner Sittenwächter vorgestellt wurde. Denn neben den wenigen positiven Vermeldungen über das Fokussieren auf die extremistische Klimaschutzbewegung und die ausdrücklichen Warnungen vor einem Wiedererstarken des Linksradikalismus erschauderten nicht nur diejenigen unter uns über die restlichen Einlassungen, welche die DDR noch am eigenen Leibe erfahren haben – und sich in den 1970er- und 1980er-Jahren deutlich weniger von einem Inlandsgeheimdienst unter die Lupe genommen sahen als in einem Deutschland 2024. Denn es war eine profan klingende, aber in ihrer Dimension sämtliche Grundsätze unseres liberalen Miteinanders aufkündigende Verlautbarung, wonach fortan jeder mit einer eigenen Akte bei den Schlapphüten rechnen müsse, der sich zu sogenannten „staatsfeindlichen“ Kundgaben hinreißen lässt. Letztlich sind damit wohl sämtliche Äußerungen gemeint, welche sich gegen die herrschende Klasse und das Kontinuum der Ampel richten.
Eine derartige Mentalität finden wir tatsächlich ansonsten nur in Absolutismen, in denen die gescheiterte Regierung sich nicht anders an der Macht zu halten vermag als durch den Einsatz von Repression, Gängelung und Tyrannei. Es sind also durchaus historische Zeiten, in denen wir derzeit leben. Denn die Diktatur kommt dieses Mal einigermaßen sukzessive durch die Hintertür – und verkauft sich als Verteidigung unserer Freiheitsrechte. Da versammeln sich die blökende Schafe vor dem Brandenburger Tor, um gegen ein Geheimtreffen von kurzerhand zu „Nazis“ degradierten Vertretern der AfD, der WerteUnion, der Identitären Bewegung und der Wirtschaft zu protestieren, die sich eben nicht auf eine Deportation von Millionen Bundesbürgern mit Migrationshintergrund geeinigt haben, sondern deren Pläne zur Remigration von abgelehnten und ausreisepflichtigen Asylbewerbern – die ihren Gaststatus beispielsweise auch durch Kriminalität, illegale Einwanderung, Identitätsverschleierung, Integrationsunwilligkeit oder Sozialleistungsmissbrauch verwirkt haben – gerade mit Art. 16a GG und den internationalen Konventionen vollends in Einklang zu bringen sind. Was als ein psychologisches Ablenkungsmanöver von der Niederlage der politisch Verantwortlichen für die derzeitigen Messerzustände in unserem Land zu werten ist, manifestiert sich aber auch als die außer Rand und Band geratene Verhältnismäßigkeit und Priorisierung unseres Horch und Guck. Denn er nimmt nicht mehr diejenigen ins Visier, die statt eines weltlichen Miteinanders eine gottesstaatliche Zukunft propagieren. Sondern in Verdacht geraten einfache Bürger, die ihre Verbitterung und Enttäuschung über die Obrigkeit mit markigen Worten zum Ausdruck bringen. Und so schoss Haldenwang den Vogel ab, als er sich auf offener Bühne zu der Feststellung hinreißen ließ, dass das Kalifat durchaus eine mögliche Herrschaftsform sei. Solange diese lediglich in Demonstrationen eingefordert werde, sei dies von der unbehelligten Rede aus Art. 5 GG gedeckt.
Komischerweise gelten also für Islamisten jene Paragraphen, die man bei einem Deutschen geflissentlich unter den Tisch fallen lässt. So ist es ein bezeichnendes Beispiel, dass die Polizei in Berlin angewiesen wurde, nicht nur während der Europameisterschaft sämtliche Gesänge zu Gigi D’Agostinos „L’Amour toujours“ im Kein zu ersticken. Obwohl selbst die Ermittlungsbehörden zugeben mussten, dass die dabei verwendeten Textverse „Deutschland den Deutschen“ oder „Ausländer raus“ nur unter äußerst strengen Vorgaben und in einem bestimmten Kontext als Volksverhetzung aufgefasst werden können, soll aber bereits das Anstimmen der Liedzeilen zumindest als eine Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Wir bewegen uns also weg von jeglicher Normierung – und lassen Justitia freien Lauf. Sie muss sich also nicht mehr gebunden fühlen an die vorherrschenden Gesetze, sondern darf dort tätig werden, wo sich Nancy Faeser dies wünscht. Wir sind an einem Punkt der völligen Willkür und Beliebigkeit angelangt – und haben damit einen wesentlichen Eckpfeiler unserer Prinzipien preisgegeben. Denn es existiert faktisch keine verlässliche Basis mehr, auf die sich der Einzelne im Zweifel berufen kann. Stattdessen können sich diejenigen sorglos entfalten, die mit ihrem Anspruch an eine Vorherrschaft von Allah unbehelligt durch Hamburg ziehen – oder mit einem terroristischen Vorsatz in Mannheim einen Aktivisten verletzen und einen Polizisten töten. Denn sie waren vermutlich nicht auf dem Schirm derjenigen, deren ursprüngliche Aufgabe es war, mit ihren Befugnissen für Sicherheit und Ordnung in diesem Land beizutragen. Kaum jemand kann diese Spitzel noch ernst nehmen, die sich von einer Kampagne in den Sozialen Medien bedroht fühlen, mit der immer mehr Menschen in einem Pride-Monat ihren Stolz auf Heimat, Ursprung und Herkunft teilen. Hierbei handele es sich nach Auffassung von „Big Brother“ um erwiesenermaßen rechtsextreme Gebaren, die man ebenso im Blick behalten müsse wie manch einen Verlag aus der patriotischen und nationalistischen Sammlungsbewegung. Wie sehr sich der Kompass eines Nachrichtendienstes verselbstständig hat, könnte man als atemberaubend bezeichnen. Viel eher ist es aber angebracht, seinen Fortbestand in der jetzigen Form dringlich anzuzweifeln.