Kommentar von Dennis Riehle
Hat Kanzler Scholz seinem Herausforderer bei der Wahl im Februar 2025 berechtigt oder fälschlicherweise unterstellt, dass mit einem Regierungschef Friedrich Merz der Atomkrieg über unseren Kontinent hereinbricht? Man mag es bei einer übertriebenen Genauigkeit bemängeln, dass der SPD-Politiker möglicherweise zu viel Interpretation in das gelegt hat, was der Christdemokrat in Sachen Ultimatum in Richtung Wladimir Putin wörtlich aussagte. Doch die Krux liegt allein in diesem Umstand, dass sich der Spitzenkandidat aus dem Konrad-Adenauer-Haus einigermaßen nebulös gibt, wenn es um seine Konzepte, Forderungen und Standpunkte bezüglich der deutschen Position in der Ukraine-Frage geht. Entscheidend ist nicht immer, was jemand in einem gesprochenen Satz formuliert. Insbesondere auf dem Berliner Parkett und dem internationalen Tableau sind es die Zwischentöne, welche die Musik machen. Und hier erweist sich der 69-jährige Sauerländer nun einmal als Paradebeispiel, um über seine tatsächliche Gesinnung und Ideologie zu täuschen. Denn allein seine Liebäugelei mit Ricarda Lang und Robert Habeck lässt ihn als einen überaus unsteten Charakter dastehen, der nahezu täglich das Fähnchen im Wind dreht.
Dass er sich in seiner Rhetorik mittlerweile nicht mehr von Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Michael Roth oder Anton Hofreiter unterscheidet, sondern bisweilen noch eine Schippe drauflegt, wenn es um Hochmut angesichts Russlands Offensiven geht, mag im Kreml bislang nur ein Schmunzeln auslösen. Doch schon die Bereitschaft, es angesichts der Dramatik im 20. Jahrhundert mit einer Weltmacht aufzunehmen, erweist sich für die Unversehrtheit und Integrität der Republik als enormes Risiko. Dass ein ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr vor der Wahl des derzeitigen Oppositionsführers warnt, das stellt einen exemplarischen Vorgang in der jüngeren Geschichte dar. Und so ist es einigermaßen bemerkenswert, dass sich an den Umfragewerten für eine Partei kaum etwas tut, deren Vorsitzender offenbar von einer derartigen Realitätsverweigerung betroffen scheint, dass die Überprüfung der Intaktheit deutscher Bunker vielleicht gar keine so schlechte Idee ist. Hat man eigentlich nichts gelernt aus diesem Damals, von dem doch das Einheitskartell regelmäßig einfordert, sich „nie wieder“ zu ereignen? Es mag zu kurz gegriffen sein und auf eine oberflächliche Gleichung hinauslaufen, ein Kreuz auf dem Stimmzettel für jene politische Kraft mit dem unbedingten Ausbrechen eines weltweiten nuklearen Konflikts gleichzusetzen, die beispielsweise mit Kohl und Schäuble dafür gesorgt hatte, dass sich unsere zerrissene Einheit wieder versöhnte.
Doch wenn man sich allein ansieht, mit welcher Leichtigkeit sich der stets staatsmännisch gebende Ex-Lobbyist und Rechtsanwalt beispielsweise für die Lieferung von Taurus-Raketen nach Kiew einsetzt, so muss das schon allein deshalb Sorge bereiten, weil er sich trotz manch fehlerhafter Erzählung über den Zahnersatz von Flüchtlingen eigentlich als kenntnisreich in verschiedener Fachkunde zeigt. Daher sollte ihm bewusst sein, dass Selenskyjs Truppen diese Waffen ohne die Unterstützung hiesiger Soldaten überhaupt nicht zu verwenden in der Lage wären. Letztlich bedeutet dieser Umstand profan, dass Mitglieder unserer Armee höchstwahrscheinlich an die Front ausrücken müssten – und damit einen Eintritt in jene Auseinandersetzung erklärten, bei der sich immer mehr Zivilisten fragen, ob Grenzverläufe tatsächlich schwerer wiegen können als Menschenleben. Darüber hinaus bleibt das Narrativ darüber, unsere Freiheit würde im Donbass verteidigt, mindestens genauso abenteuerlich wie die Feststellung, dass unsere Sicherheit jemals am Hindukusch entschieden wurde. Ich kann mich nur denen anschließen, die in diesem Fall völlig notwendig den Zeigefinger erheben, weil eine Koalition unter dem sukzessive jedweden Konservativismus an den Nagel hängenden, grünlackierten und Unruhe stiftenden Juristen existenzbedrohlich für den Frieden in Mitteleuropa wäre.