Kommentar von Dennis Riehle
Als Jugendlicher hat man die unterschiedlichsten Vorstellungen, was man später einmal werden möchte. Auch in meinem Kopf kreisten viele unterschiedliche Ideen über meine berufliche Zukunft. Schon recht früh hatte sich die Ambition verfestigt, später einmal Theologie studieren zu wollen. Dass mir die Kirche aufgrund meiner Homosexualität und psychischen Erkrankung Steine in den Weg gelegt hat, sehe ich heute als Segen an. Denn ich wäre als Pfarrer sicherlich nicht glücklich geworden. Und so war der Schwenk in Richtung des Journalismus für mich die einzig richtige Entscheidung. Hierin werde ich in diesen Tagen auch dadurch bestätigt, dass sich die beiden Konfessionen mit jenem Zeitgeist gemeinmachen, der eigentlich der ärgste Widersacher ist, weil er sämtliche Tugenden des christlichen Daseins mit Füßen tritt. Plötzlich steht nicht mehr Jesus im Mittelpunkt des Gottesdienstes, sondern Luisa Neubauer. Nicht mehr das Kreuz wird wie eine Monstranz getragen, sondern die Geschlechterlosigkeit. An den Eingängen wehen nicht länger die Farben des Protestantismus oder Katholizismus, sondern der Regenbogen. Das oberste Ziel von Nächstenliebe ist die Unterstützung der Schlepperei durch eine Befürwortung der privaten „Seenotrettung“ im Mittelmeer. In der Predigt hören wir nichts mehr von der Auferstehung des Herrn, sondern von einem glorifizierten Robert Habeck. Und wenn es an die Beichte geht, so bekennt sich der angepasste Patwork-Religionist nicht mehr zum Ehebruch, sondern zu einem Kreuz bei der AfD auf dem Stimmzettel. Schließlich lernen wir im Augenblick, dass es zu den Todsünden noch eine Steigerung gibt. Das Höchstmaß an Verwerflichkeit stellt aus Sicht der hochmütigen Missionare auf dem Altar der politischen Korrektheit die freie Entscheidung jedes Wählers dar, nach eigenem Willen diejenige Partei zu präferieren, mit der man die größtmögliche Übereinstimmung sieht.
Und sollte tatsächlich einer der eingeebneten und kanalisierten Gläubigen auf den Trichter kommen, dass eine radikale Trendumkehr der Verhältnisse in unserem Land lediglich mit einem Votum für die Alternative gelingen kann, macht er sich eines weitaus schwerwiegenderen Tatbestandes schuldig als der Missetäter, der lügt, falsches Zeugnis redet, Götter neben sich hat, Vater und Mutter nicht ehrt oder des Anderen Haus begehrt. Mit sämtlichen Verstößen gegen die Zehn Gebote gilt man heutzutage als weniger schändlich denn derjenige, dem Heimat, Ursprung und Natürlichkeit wichtig sind. Die Institution hat bereits in der Vergangenheit immer wieder ihre Abhängigkeit zur herrschenden Klasse bewiesen. Sie war Steigbügelhalter und Handlanger – und dass selbst in den dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte. Sie hat ihre Wurzeln und das Profil im Zweifel bis zur Unkenntlichkeit verwaschen, um gerade nicht der Versuchung von Mode und Moderne standzuhalten. Entgegen des eigentlichen Auftrags, Ethik, Sitte und Integrität hochzuhalten, entpuppt sie sich wie ein Fähnchen im Wind, das selbst die biblischen Fundamente preiszugeben bereit ist, wenn sich dadurch eine Solidarisierung mit der Regierung und all ihren Unterstützern aus dem linksgrünen Spektrum ergibt. Und so sind es nicht nur Bischöfe, die im Augenblick mit größter Konsequenz und Stringenz Mitarbeiter, Ehrenamtliche und das einfache Gemeindemitglied aus den eigenen Reihen auszustoßen versuchen, die man als jene Schwarze Scharfe brandmarkt, die die Heilige Schrift explizit in ihren Parabeln und Gleichnissen als in das Miteinander einzugliedern auffordert. Doch das Gegenteil ist der Fall. Auch der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck, seines Zeichens ebenfalls Pastor und früherer Chef der Stasiunterlagenbehörde, wird in einer Fernsehsendung nach der nächsten nicht müde, mit einer jeglichen Barmherzigkeit widersprechenden Haltung der Stigmatisierung, Separierung und Diffamierung auf diejenigen Nächsten einzudreschen, die aus seiner Sicht bis heute nicht verstanden haben, was Demokratie bedeutet.
Denn Volksherrschaft beginnt bei ihm in der Befürwortung des etablierten Kartells – und endet in der Agitation und Demagogie gegenüber der kritischen Opposition. Wieder einmal machen sich also die Geistlichen auf den Weg in Richtung Berliner Waschmaschine, wo sie ihr Bündnis mit der Ampel erneuern – und unterwegs nicht nur das Evangelium verlieren, sondern anscheinend auch Vernunft, Verstand und Rationalität. Dass vor Gott kein Ansehen der Person ist, das lernen wir beispielsweise im Römerbrief, Kapitel 2, Vers 11. Dies umfasst insbesondere auch die weltanschauliche Positionierung eines Menschen, der nicht nur gegenüber des Schöpfers auf eine bedingungslose Annahme hoffen darf. Viel eher sind auch die Erdenbürger dazu angehalten, sich nicht mit dem Hörensagen, Vorurteilen und Ressentiments zu begnügen. Sondern das Gegenüber in seiner Gesamtheit zu betrachten – und sich im besten Fall interessiert zu geben, warum sich jemand für eine Unterstützung der Blauen ausspricht. Was würde von der Lehre der guten Botschaft noch übrig sein, wenn sich Christus in einer ähnlichen Mentalität von all jenen abgrenzen begrenzt hätte, die von der Öffentlichkeit in bestimmte Schubladen gesteckt wurden – und mit einem gesellschaftlichen „Igitt“ etikettiert sind, weil nicht mehr Versöhnung im Zentrum steht, sondern Aufwiegelung, Spaltung und Polarisierung. Es ist der Verrat elementarer Überzeugungen eines aufrichtigen Jüngers, seine Freunde, Nachbarn und Kollegen allein deshalb zu meiden, weil sie vom Rest wie die Aussätzigen behandelt werden. Wer sich in diesen Tagen als authentischer Nachfolger des Messias einen Namen machen will, der lässt sich nicht vor den Karren der Verleugnung stemmen, die bereits vor 2000 Jahren Ausgangspunkt für Leid und Pein war.