Kommentar von Dennis Riehle
Es gab Jahrzehnte, da war der Pazifismus eine hehre Weltanschauung. Nicht nur Grüne und Sozialisten gingen in großen Massen auf die Straße, um sich gegen militärische Aufrüstung zu engagieren. Und sogar in der Politik galt es als Tugend, Diplomatie der Eskalation vorzuziehen. Dass früher Vieles besser war, das wird mittlerweile wohl jeder bestätigen können, der den Zustand unserer Gesellschaft und das Agieren der Obrigkeit mit ihrem machtmissbräuchlichen Gebaren zur Durchsetzung ihrer ideologischen Ziele einigermaßen kritisch verfolgt. Bisweilen genügt auch ein Blick in unsere Fußgängerzonen oder die Sozialen Medien, in denen uns die Wirklichkeit authentisch abgebildet wird. Doch während sich beispielsweise Millionen vor das Brandenburger Tor locken lassen, weil ein Recherchezentrum über das Geheimtreffen am Lehnitzsee berichtete – und sich daraus in der Systempresse die Schlagzeile verselbstständigte, dass Vertreter der AfD, der WerteUnion, der Identitären Bewegung und der Wirtschaft Millionen Deportationen von Bundesbürgern mit Migrationshintergrund in Betracht ziehen würden, scheinen die Deutschen in ihre typische Lethargie zu verfallen, wenn es um das Engagement für Frieden geht. Nahezu täglich pumpen wir weitere Milliarden in Waffen für die Ukraine. Europäische Verbündete und die USA überbieten sich mit ständig neuen Ankündigungen, Kiew den Einsatz von gelieferten Flugzeugen, Raketen und Munition gegen ziele auf feindlichem Territorium zu erlauben. Unser Bundesverteidigungsminister hält offenbar weiterhin an der Theorie eines amerikanischen Think Tanks fest, dass Putin möglicherweise bis im Jahr 2029 einen Angriff auf die NATO plane. Und so kommt es insbesondere der Rüstungsindustrie einigermaßen ungelegen, wenn sich Ministerpräsident Orbán im Zuge seiner Ratspräsidentschaft auf den Weg nach Moskau macht, um dort das zu tun, was man von jedem verantwortungsvollen Staatsoberhaupt in der derzeitigen Situation erwarten würde.
Dass man sich in Brüssel kaum noch bändigen lässt, weil sich ein Spitzenvertreter der EU doch tatsächlich anmaßte, in einem Konflikt vermitteln zu wollen, den Selenskyj auch nach Auffassung der allermeisten westlichen Experten nicht mehr gewinnen kann, scheint angesichts des lobbyistischen Machtapparats um Ursula von der Leyen wenig überraschend. Denn die Profiteure von immer neuer menschlicher Pein, Tod und Verwundung sind die perfiden Nutznießer in der Wirtschaft. Bedauerlicherweise ist unsere Spezies in der Evolution nicht wirklich schlauer geworden. Sie lernt kaum etwas aus der Vergangenheit – und stellt im Zweifel persönliche und egozentrische Interessen über das Wohl und die Unversehrtheit eines Volkes. Denn seitdem keine Wahlen mehr stattfinden, kann man nur mutmaßen, wie die Bürger an der Front und im ganzen Land zu dem immer neuen Verschleiß von Ressourcen stehen. Natürlich kann man sich dauerhaft auf die Position zurückziehen, dass der Angreifer jederzeit in der Lage ist, von jetzt auf gleich das Blutvergießen zu beenden. Der Überfall war durch nichts zu rechtfertigen – auch wenn es zu kurz greifen würde, sich allein auf diesen Standpunkt zurückzuziehen. Immerhin haben Streitigkeiten im Großen und Kleinen stets eine Vorgeschichte. Und so ist es insbesondere die nach den Maidan-Protesten Einzug haltende Hinwendung in Richtung Westen, die es eigentlich nach mündlichen Zusagen bereits in den 1990er-Jahren nicht mehr hätte geben dürfen. Denn damals hatte man sich von Seiten des transatlantischen Zusammenhalts eindeutig dazu bekannt, nicht weiter gen Osten expandieren zu wollen. Gleichzeitig ist es seit Präsident Petro Poroschenko das massive Vernachlässigen der Bedürfnisse einer russophilen Bevölkerung im Donbass, welches der Aggressor als Argumentationsgrundlage für sein Vordringen auf fremdes Territorium nutzte.
Wir existieren nun einmal in einer rationalen Welt, in der man zwar an Idealen und Utopien festhalten kann. Doch es wirkt wie eine gewisse Trotzigkeit und Bockigkeit, stets darauf zu warten, dass der Verursacher seine Schuld eingesteht und seine Truppen zurückzieht. Und da kann man noch so lange an den Prinzipien hängen. Unsere Realität ist eben kein Wunschkonzert. Auch wenn es verbitternd und ernüchternd ist, dass wir in einer aufgeklärten Gegenwart nicht mehr voneinander erwarten können, dass die Integrität von Staaten verbindlich bleibt, so wäre es allein ein Zeichen von Größe, die eigenen Zivilisten nicht mehr wie Kanonenfutter preiszugeben – sich getreu des Mottos „Der Klügere gibt nach“ im Zweifel auch auf einen schmerzlichen Kompromiss einzulassen. Denn kann das Bestehen auf den Erhalt von Grenzlinien tatsächlich wichtiger sein als ein Menschenleben? Es liegt mit Sicherheit auch wesentlich an der Administration von Biden, dass ein Einfrieren der aktuellen Gefechtslinie scheitert. Nicht selten handelt es sich bei Fehden dieser Art von Schlachten um Kämpfe von Stellvertretern. Denn die Strippenzieher dürften vor allem in Washington zu suchen sein. Von dort aus hat man gut reden, ist man noch weit entfernt vom Brandherd. Hätte es nicht den Einspruch aus dem Weißen Haus gegeben, wäre man vielleicht schnell nach Ausbruch des Gemetzels zu einer Lösung gelangt. Und dass es hierzu Gelegenheiten gab, das machen auch die neuen Angebote deutlich, welche der russische Machthaber gegenüber seinem ungarischen Besucher übermittelt hat. So wird allein derjenige etwas gegen die Mission der Delegation aus Budapest haben, der partout kein Verlangen nach Beendigung dieses Infernos in sich trägt. Doch spätestens, wenn Europa immer tiefer mit in diesen Sumpf gezogen wird, könnten gerade jene aufbegehren, für die Verständigung das oberste politische Ansinnen ist. In unseren Breiten sind es gerade die Bürger in den sogenannten neuen Bundesländern, denen dieses Thema am stärksten auf den Nägeln brennt. Daher empfinden sie große Solidarität mit jedem, der sich trotz Androhungen eines Entzugs von Amt und Mandat nicht davon abbringen lässt, zumindest jegliche Option ausgelotet zu haben, um allein dem Anspruch eines Unterbruchs von Sterben und Leiden gerecht geworden zu sein.