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O du Einsicht bringende Weihnachtszeit: Die Geburt Jesu als Signal für einen gesellschaftlichen Neubeginn!

Kommentar von Dennis Riehle

Das Jahr 2024 wird sicherlich schon deshalb in die Geschichte eingehen, weil wir uns von einer Krise zur nächsten geschleppt haben. Viele negative Schlagzeilen sind uns erhalten geblieben. Ob es nun der Krieg in der Ukraine ist, die militärische Auseinandersetzung im Nahen Osten oder das Ende unserer Regierung, deren Legislatur sich bis zuletzt wie ein Kaugummi in die Länge zog – und von der man auch zu Weihnachten noch immer nicht genau weiß, wie viel von ihr weiterhin im Amt ist. Ihre Entscheidungen wirkten oftmals wie ein zähes Ringen um den kleinsten gemeinsamen Nenner. Und wir sind müde geworden angesichts der vielen Koalitionsausschüsse, in deren Anschluss man nicht vielmehr verkünden konnte als einen Minimalkonsens. Wer sich zu sehr auf die politischen Probleme im Land konzentriert hat, dessen Akkus dürften mittlerweile ziemlich geleert sein.

Wie heilsam ist es da, endlich einen Augenblick zu haben, der ablenkt von all den Schwierigkeiten, Sorgen und Nöten, die uns in der Gesellschaft und im Alltag umgeben. Ausgetretene Pfade gibt es mittlerweile genug. Es ist Zeit für ein Durchatmen, für ein Luftholen und für ein Auftanken. Der Advent stellt nicht nur eine Zäsur im Kalender dar, welche zwar häufig selbst mit Stress verbunden ist, weil wir schon im Herbst daran denken, die Geschenke zu besorgen – und uns über das Festmahl mit den Liebsten zu unterhalten. Dass der Heilige Abend nicht abrupt und Hopplahopp kommt, das hat durchaus seinen Sinn. Schließlich wollen wir nicht mit voller Fahrt und in Höchstgeschwindigkeit auf dieses Ereignis prallen, welches uns die Chance einräumt, noch einmal auf Anfang zu gehen.

Wir räumen das Alte ab, um Platz zu schaffen für das Verheißungsvolle, was uns von den Engeln verkündet wird. Martin Luther hat in seinem Lied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ recht treffend beschrieben, worum es in der Erzählung der Bibel geht. „Ich bring‘ euch gute neue Mär, der guten Mär bring‘ ich soviel, davon ich sing’n und sagen will“, heißt es in seinem Vers. Wir warten auf etwas Unbelastetes, auf etwas Unschuldiges und auf etwas Unzweifelhaftes. Und was könnte da besser ins Bild passen als ein Kind, das in diese Welt gesetzt wird, ohne mit manch einem Ballast seinen irdischen Weg beschreiten zu können. Bei uns ist das nicht so einfach möglich. Da lässt sich das Gedächtnis nicht einfach löschen und von all den schwermütigen Erfahrungen befreien. Sicherlich wäre das auch keine allzu kluge Entscheidung. Immerhin ist es unsere Biografie, die uns prägt und ausmacht.

Daher sollten wir nicht jeden Tiefpunkt als einen Makel in unserer bisherigen Bilanz bewerten. Denn der Ausgang von Wachstum und Fortschritt ist nicht zuletzt in einer Talsohle begründet. Eine Katharsis lässt sich nur dann als Geschenk, Bereicherung und Option begreifen, wenn wir im Wissen um die Nullstelle jeden noch so kleinen Erfolg in Beziehung setzen und würdigen können. Auch zum Stall in Bethlehem gibt es eine Vorgeschichte. Es war die mühsame und beschwerliche Reise von Maria und Josef, die sich aus Gründen einer Volkszählung in Richtung ihrer Heimat aufmachten, obwohl die Schwangerschaft in vollem Gange war. Den Geburtstermin wahrscheinlich schon vor Augen, war man sich über das Risiko bewusst, Nazareth zu verlassen und sich auf eine anstrengende Etappe zu begeben. Doch im tiefsten Inneren war sich die werdende Mutter offenbar darüber bewusst – und im Vertrauen, dass dieses Unterfangen gut ausgehen möge.

Nicht nur die Prophezeiung der Schrift wird dabei eine Rolle gespielt haben. Als Eltern entwickelt man rasch ein Gespür dafür, ob alles glatt laufen wird. Kleinere Katastrophen lassen sich dabei aber nicht ausschließen. Und so ging man von Tür zu Tür, klopfte und bat um Unterschlupf. Doch alle Herberge war belegt, nur ein simpler Holzverschlag blieb übrig, zwischen den Tieren zu gebären – und einen König in ärmlichsten Verhältnissen auf diesem Globus zu begrüßen, der seine Heiligkeit nicht etwa dadurch erlangte, dass ihm Weihrauch und Myrrhe dargebracht wurde. Und so gab der jauchzende Chor an himmlischen Heerscharen dem denkwürdigen Anlass ebenso das passende Aufgebot wie der leuchtende Stern über der Krippe und der zufriedene Ausdruck von einem glücklichen und zufriedenen Paar, das nicht mit dem Umstand haderte, den Heilsbringer in seinen Händen zu halten. Es begriff ihn in erster Linie als ein offenkundig gesundes Baby, welches sicher und problemlos das Licht dieses irdischen Daseins erhaschte – obwohl die Gegebenheiten doch so dürftig waren.

Gerade diese Schlichtheit führt uns zurück an die Wurzeln unseres eigenen Lebens. Und sie lässt uns möglicherweise auch wertschätzen, dass wir trotz aller Mühsal in diesen Tagen noch immer Grund zur Hoffnung haben. Letztendlich ist jeder Tag eine eigene Gelegenheit, die Uhren auf null zu stellen – und von vorn zu beginnen. „So merket nun das Zeichen recht: Die Krippe, Windelein so schlecht, da findet ihr das Kind gelegt, das alle Welt erhält und trägt“, heißt es in Strophe 5 des oben genannten Textes eines großen Reformators, der uns damit auch verdeutlichen möchte, dass wir Zuversicht allein aus dem Umstand dieses getragenen Gefüges der Schöpfung haben können. Denn wie weit nach unten geht es im schlimmsten Fall? Sich der Endlichkeit zu vergegenwärtigen, lässt allen Moment zu etwas Kostbarem werden. Dann nehmen wir nicht mehr jede noch so Kleinigkeit für selbstverständlich. An der Zerbrechlichkeit dieses jungen Jesus und in der Retrospektive seines passionsreichen Werdeganges können wir für uns die Weisheit ableiten, die diesseitige Existenz möglicherweise auch dann noch als etwas unheimlich Gnädiges zu verstehen, sollten uns Krankheit, Trauer, Streit oder Missgunst nahezu verzweifeln lassen.

Manch einer von uns traut sich aktuell gar nicht, positive Gefühle zu zeigen. Die allgemeine Tristesse führt zu einer kollektiven Überdrüssigkeit, die durch das tägliche Hamsterrad noch intensiviert wird. Es ist aber gerade in den Epochen der Geschichte dem Mut von Einzelnen zu verdanken, dass sie nicht von Tragik und Dramatik vereinnahmt oder gelähmt wurden. Wenn wir in unserem persönlichen Umfeld keinerlei Anlass für Optimismus mehr sehen, können wir uns zumindest Anteil haben an dem, was der Augustinermönch in seinem Gesang wie folgt beschreibt: „Des laßt uns alle fröhlich sein und mit den Hirten gehn hinein, zu sehn, was Gott uns hat beschert, mit seinem lieben Sohn verehrt“ (EG 24,6). Bisweilen genügt das Besinnen auf den Ursprung, um sich im dunklen Dickicht von schnelllebigen Phasen wieder zu erden. Ich wünsche uns dieses Zentrieren auf den Keimling, aus dem jene Blüte entspringt, zu der Friedrich Layriz 1844 komponierte: „Das Röselein so kleine, das duftet uns so süß, mit seinem hellen Scheine vertreibts die Finsterniss“ (EG 30,3). Möge uns das Halleluja aus dem Trott reißen – und einen unverbrauchten Blick auf das Geschehene und Folgende erlauben. Von Herzen frohe, friedvolle und gesegnete Stunden!