Kommentar zum Beitrag „Union will das Lügen verbieten: Wann stellt sich Friedrich Merz den Behörden?“ (aus: „Berliner Zeitung“ vom 29.03.2025)
„Nun sag‘, wie hast du’s mit der Wahrheit?“ – In Anlehnung an Gretchens Faust fragt uns dieser Tage eine angehende Regierung, ob wir im Zweifel bereit sind, nie mehr zu lügen. Unwahre Tatsachenbehauptungen sollen künftig strafbar sein, geht es nach den Koalitionären. Doch was ist nun die Realität? Dass es mehr als zwei Geschlechter gibt? Der Klimawandel von unserer Zivilisation verursacht wurde? Russland keinen Frieden möchte? Die AfD eine böse, rechte Faschisten-Partei ist? Die Deutschen im 21. Jahrhundert Schuld für den Nationalsozialismus tragen? Ohne ausländische Fachkräfte die Wirtschaft zusammenbricht? Vegane Ernährung die gesündere darstellt? Messerattentate auf unseren Straßen von Putin gesteuert werden? Corona ein Schicksal war? Windräder vor Hochwasser bewahren? Sich das generische Maskulinum auch als Tomate identifizieren kann? Migration unsere Renten sichert? Die Impfung nebenwirkungsfrei verlief? Demokratie vor einem Viertel der Wähler geschützt werden muss? Meinung auch Wirklichkeit sein kann? Regen ein Anzeichen der Erderwärmung ist? Der Islam zu Deutschland gehört? Die DDR kein Unrechtsstaat war? Und es doch Außerirdische gibt?
Darf man nicht mehr leugnen, dass wir zum Einwanderungsland verdammt sind? Wärmepumpen von Petrus ein Like bekommen? Die DDR eigentlich gar nicht so schlimm gewesen ist? EU-Recht gegen härtere Asylregeln spricht? Oder Friedrich Merz ein tadelloser Möchtegern-Kanzler sein wird? Maßgeblich für die Frage, ob sich das Vorhaben einer Bestrafung von „Falschheit“ umsetzen lässt, ist einerseits das Duckmäusertum eines unterwürfigen Bürgertums, bei dem man tatsächlich nicht sicher sein kann, ob sie sich von den schwarz-roten Märchenonkeln in Berlin möglicherweise doch ein X für ein U vormachen lässt. Aber andererseits auch die Bereitschaft von Verfassungsjuristen, welche den totalitär anmutenden Tendenzen in den Weg treten könnten, um den bereits demontierten Artikel 5 des Grundgesetzes zu retten. Schließlich ist es Karlsruhe gewesen, von wo aus immer wieder neu deutlich gemacht wurde, dass die Androhung von Konsequenzen nur dann legitim ist, sollte es sich bei einer Kundgabe oder Verbreitung von verleumderischen Fakten um dem Beweis zugängliche und überprüfbare Sachverhalte handeln, die daneben keinen äußernden oder wertenden Charakter haben.
Wir sind insofern historischen Verhältnissen nahe, wenn sich die Elite eines Staates dazu erhebt, über die Gewissheit zu entscheiden – und sie schließlich normiert. Es ist im Zweifel nicht mehr die Justiz, die entsprechende Maßstäbe vorgibt. Sondern es könnten Friedrich Merz und sein Kabinett sein, die in bloßer Willkür definieren, was als Fabelei und Trugbild gelten soll. Eine völlige Einebnung des Denkens der Öffentlichkeit stellt das typische Wesen von Autoritarismus und Beliebigkeit dar, in welchem Abweichler der Schauprozess gemacht wird. Was hatte man noch vor dreieinhalb Dekaden um die Freiheit gerungen, um nunmehr sogar hinter die Mentalität der einstigen Sozialisten zurückzufallen, die durchaus neidisch wären auf die Despotie von CDU und SPD des Hier und Jetzt. Schließlich macht man nicht einmal einen Hehl daraus, was man mit einer liberalen Gesellschaft vorhat. Unter dem Deckmantel des Schutzes vor Desinformation und Fake News, denen es beiden an einer konsensualen Klarlegung fehlt, werden missliebige Perspektiven unterdrückt, um sie durch Ideologie und Zeitgeist zu ersetzen. Kurzum: Auferstanden aus Ruinen, der Überwachungsapparat ist wieder da!