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Magere Zwischenbilanz für Marco Wanderwitz: Scheitert das AfD-Verbot bereits im Bundestag?

Kommentar von Dennis Riehle

Es spielt weniger eine Rolle, ob man gläubig ist oder nicht, wenn man zu der schlichten Einsicht gelangt, dass manch eine biblische Aussage völlig unabhängig von jedem religiösem Bekenntnis eine gewisse Weisheit mit sich bringt. So ist es beispielsweise bei Vers 3 aus Matthäus 7 (Einheitsübersetzung): „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“. Da hat sich nun also eine ausreichende Zahl an Abgeordneten im Deutschen Bundestag gefunden, die das Parlament dazu motivieren möchten, die zuständigen Stellen beim Gang nach Karlsruhe zu unterstützen, um dort die AfD verbieten zu lassen. In einem recht überschaubaren Antrag wollen die Mandatsträger um Marco Wanderwitz den argumentativen Beweis für die Verfassungswidrigkeit einer Partei erbracht haben, welche dem ehemaligen Ostbeauftragten der Regierung vor allem deshalb so sauer aufstößt, weil er im Wettbewerb um den Direkteinzug ins Berliner Plenum dem Kandidaten der Alternative für Deutschland unterlegen war. Dass man ausgerechnet die Recherche einer sich willfährig an die Macht anbiedernden Investigativjournaille namens Correctiv als Grundlage für den Beleg heranzieht, die kritische Opposition per Dekret untersagen zu wollen, entspricht der Mentalität dieses Steinewerfers im Glashaus. Denn während sich der ohnehin durch Diffamierung und Denunziation in der öffentlichen Wahrnehmung ins Abseits gedrängte Feind sich allenfalls vorhalten lassen kann, beim sogenannten Geheimtreffen am Lehnitzsee allzu leichtfertig im Umgang mit einer Debatte gewesen zu sein, von der man erahnen musste, dass sie für die Zwecke der herrschenden Klasse instrumentalisiert würde, stellt der Missbrauch von Art. 21 Abs. 2 GG aus purem Eigennutz einen durchaus gravierenden Anwurf dar. Schlussendlich kam es auch so. Hunderttausende blökende Schafe ließen sich mobilisieren und unter anderem vor dem Brandenburger Tor „Nazis töten“ skandieren.

Und weil dieser echauffierten Bewegung bis heute kein Einhalt geboten wurde, verharren in den Medien bis heute Märchenerzählungen über eine Absprache von Politikern aus der zweiten und dritten Reihe, nicht etwa eine Remigration von abgelehnten und ausreisepflichtigen Flüchtlingen und Asylbewerbern anzustreben, sondern eine Deportation von Millionen Bürgern mit ausländischen Wurzeln. Doch es wirkt in diesem Zusammenhang nicht nur bizarr, skurril und hochnotpeinlich, dass man ausgerechnet mit einem Narrativ in die Auseinandersetzung vor den roten Roben gehen möchte, die das OLG Hamburg als falsch einstuft. Im Beschluss vom 23.07.2024, Az.: 7 W 78/24, heißt es: „Prozessual ist von der Unwahrheit der Behauptung der Antragsgegnerin, es sei bei dem Treffen in Potsdam die Ausweisung deutscher Staatsangehöriger diskutiert worden, auszugehen“. Es handelt sich also durchaus um einen einzigartigen Vorgang von Naivität oder Unwissenheit, eine rechtliche Indizienkette ausgerechnet auf einem Fundament zu errichten, das die Justiz selbst für nicht tragfähig erklärt hat. Eigentlich können sich die Blauen schon jetzt die Hände reiben. Denn wenn die Qualität der Prozessführung auf diesem Niveau fußen sollte, wird der politische Gegner als haushoher Gewinner eines möglicherweise ohnehin Jahre andauernden Verfahrens gehen. Sowieso müsste man zunächst einmal Horch und Guck zurückpfeifen, um nicht die gleichen Unwägbarkeiten zu schaffen, die schon im Falle der NPD zu einer immer weiteren Verzögerung des Entscheids über einen Bann der heute unter dem Namen „Die Heimat“ agierenden Kraft geführt hatte. Es blieb am Ende bei einem gescheiterten Versuch, das in liberalen Verhältnissen nur im Äußersten zu ziehende Register erfolgreich anzuwenden.

Und auch mit Blick auf Weidel, Chrupalla oder Höcke würde es keinesfalls reichen, auf das von einer weisungsgebundenen Behörde verliehene Etikett des Rechtsextremistischen zu verweisen. Denn die Erfordernisse für einen aus der Warte der politisch Korrekten und Wachen glücklichen Ausgang sind nahezu unerreichbar, um tatsächlich für einen Paukenschlag zu sorgen. Es bedürfte einer konsistenten, plausiblen und zur Verallgemeinerung taugenden Vielzahl von Anhaltspunkten, wonach die AfD eine völkische Gesinnung auch aggressiv-kämpferisch vertritt – und nicht nur theoretisch zu einer Überwindung wesentlicher Prinzipien und Werte unserer freiheitlichen Grundordnung bereit ist. Hierbei handelt es sich insbesondere um Art. 1 GG, also um das Infragestellen der Menschenwürde. Und da wird es sicherlich nicht genügen, dass die Programmatik der Alternative für Deutschland eine stringente Rückführung von Personen ohne Bleibeperspektive fordert. Denn diese Ambition ist nicht anrüchig, sondern explizit aus Art. 16a GG und § 58 AufenthG ableitbar. Vielmehr bräuchte es substanzielle Erkenntnisse, dass man die Integrität und Unversehrtheit des Einzelnen allein von dessen ethnischer Herkunft abhängig macht. Wie dies gerade unter der Tatsache gelingen soll, dass auch immer mehr gut eingegliederte Migranten auf dem Stimmzettel für einen Wettbewerber votieren, der dem Fremden angeblich generell feindlich gesonnen ist, wird ebenso spannend zu beobachten sein wie das Suchen nach Andeutungen, die den Schluss zulassen, man stelle sich gegen das repräsentative System.

Dass eine Fortentwicklung in Richtung plebiszitärer Partizipationsrechte des Bürgers angestrebt wird, läuft dem republikanischen Gedanken nicht etwa zuwider. Stattdessen stellt er eine Bestätigung der in Art. 20 GG vorgesehenen Mitsprache des Souveräns dar, die auch deshalb nicht negativ konnotiert werden kann, weil sich mehr Volk und weniger Demokratie ausschließen. Zwar können auch davon abweichende Einzelmeinungen innerhalb der Führungsetage oder des Unterstützerkreises der AfD in die Bewertung einfließen. Die Richter haben sie allerdings in ihrer Bedeutung zu gewichten und daneben auch zu beurteilen, welche gesellschaftlichen Folgen ein Edikt hätte. Denn wer glaubt denn tatsächlich daran, dass die Wähler der Alternative für Deutschland bei einer Anordnung ihrer Auflösung in Scharen zur CDU oder den Grünen wechseln? Es entspricht dem Gehalt von linkem Denken, die Auswirkungen des eigenen Schwadronierens nicht bis zum Schluss zu deklinieren, sondern allenfalls bis zu dem Punkt zu erwägen, der für unsere Geschichte eine Zäsur bedeutete, die in ihrem Resultat weit über die sozialen Effekte des KPD-Erlasses von 1956 hinausreicht. Daher wird in diesen Tagen Vieles weniger heiß gegessen, als es gekocht wurde. Einem verbitterten Kreis an Neidern kommt nach einem abrupten Karriereabbruch für ein paar Augenblicke das Rampenlicht zugute. Die Bühne dieses theatralischen Schauspiels dürfte allerdings schneller in neuerliche Dunkelheit eintauchen, als sich das manch Einer im Augenblick siegesgewiss einzureden versucht. Denn auch wenn gewisse Skepsis und Zweifel an der Unabhängigkeit unserer Justiz momentan angebracht sind, bleiben die extrem hohen Pflöcke für eine Indizierung der AfD oder anderer nicht genehmer Konkurrenten eingeschlagen – die eben auch dann eine absolute Ausnahme bleibt, wenn sich der Antifaschismus auf den Kopf stellt.