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Ich bin schwul – und das ist eigentlich keine Erwähnung wert!

Kommentar von Dennis Riehle

„Die Würde des Menschen ist unantastbar!“ – Mit diesem recht banalen, aber entscheidenden Konsens unseres Volkes ist nicht nur die Basis für ein zivilisiertes Zusammensein gelegt, sondern auch das oberste Verfassungsprinzip in unserer Demokratie festgezurrt. Gemeinsam mit Artikel 3 GG bildet er die Grundlage für ein Miteinander in Ebenbürtigkeit, Respekt und Anerkennung des Gegenübers. Wir dürfen einander nicht aufgrund bestimmter Eigenschaften benachteiligen – und damit eine Abstufung in der Integrität des Einzelnen vornehmen. So formulieren es wenigstens die obersten Prinzipien, welche als Kitt für unser Gefüge gelten. Wir waren mit der Verwirklichung dieser Überzeugungen bereits weit fortgeschritten. Doch spätestens mit dem Aufkommen von Wokismus und Gendertum haben einige Gruppierungen den Pfad einer sachgerechten, maßvollen und den sozialen Frieden der Nation fördernden Aufklärung, Verständigung und Annäherung unterschiedlicher Interessen verlassen. Mittlerweile gibt es nicht nur Feindschaft, Argwohn und Missgunst zwischen den weltanschaulichen Lagern aus rechts und links. Sondern auch in gesellschaftspolitischen Fragestellungen tun sich neue Gräben auf, welche doch längst zugeschüttet schienen. Denn die Überzahl der Bürger hat Lesben und Schwule seit den 80er- und 90er-Jahren sukzessive und völlig selbstverständlich in ihre Mitte geholt. Nach und nach verschwanden einstige Berührungsängste – und es gab nur noch wenige Schichten, die an der Theorie der Widernatürlichkeit des Uranismus festhielten. So war es auch für mich persönlich als homosexuell Empfindendem einigermaßen unproblematisch, das sogenannte „Outing“ hinter mich zu bringen – weil meine Eltern schon lange vor der Volljährigkeit ein entsprechendes Gefühl in sich trugen. Da schien der Gang nach Canossa, den ich bei diesem Prozess des Bekenntnisses zu meiner Orientierung vor Augen hatte, innerhalb von ein paar Minuten abgeschritten. Und ich muss bis heute bilanzieren, dass ich zu keinem einzigen Zeitpunkt in meinem bisherigen Dasein irgendeine Benachteiligung oder Diskriminierung erfahren habe.

Kaum jemand nahm mehr Anstoß daran, dass sich zwei Männer oder Frauen in der Öffentlichkeit umarmten, an den Händen hielten oder küssten. Denn es hatte sich die Überzeugung durchgesetzt, dass diese Schattierung der Evolution als ein nicht antrainierter, frei zu wählender oder von innen und außen beeinflussbarer Wesenszug unserer Spezies ist – für den sich niemand schämen musste, weil man ihn als ein legitimes und unverrückbares Spiel der Schöpfung verstand und annahm. Diese wohlwollende Stimmung und die Toleranz gegenüber einer solchen Normalität schien sich erst mit dem Augenblick wieder umzukehren, als eine von Ideologie angetriebene Klientel der Beliebigkeit, Unbestimmtheit und Unverbindlichkeit nicht mehr die angeborenen, objektivierbaren und medizinisch begründeten Varianten der geschlechtlichen Präferenz als Maßstab ansah. Stattdessen begab man sich auf das Terrain der Empfindung, Gefühle und Subjektivität. Man begann also mit dem täglichen Wechseln der Identität – weil man unter dem Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht die These postulierte, dass sich die Zivilisation vom Korsett der Binarität befreien müsse. Plötzlich ging es also nicht mehr um die persönliche Zuneigung gegenüber seinesgleichen, sondern um die endlose Suche nach einem willkürlich umrissenen Sexus, der aus einer gestandenen Maskulinität plötzlich eine absurde Skurrilität machte. Da forderte man auf bunten Paraden keine Emanzipation mehr, sondern eine Besserpositionierung für diejenigen, die sich sämtlicher Normativität, Sittlichkeit und Konformität entzogen – und sich beim Blick in den morgendlichen Spiegel als Zitrone, Schnurlostelefon oder Wischmop charakterisierten. Das bewusste und obsessive Verlassen von kollektiven Konventionen und das Segregieren in einer Parallelwelt namens „Community“ oder „Szene“ schuf eine immer weitere Distanz – weil sich die sogenannten LGBTIQ-Vertreter in ihrem Alltag vom Rest der Gesamtheit abgrenzten, zugleich aber Applaus für halbnackte Wahrheiten in Lack und Leder auf dem Rücken des okkupierten Regenbogens abverlangten. Doch in einem von Ethik und Moral getragenen Land kann es keinen Anspruch auf Fürsprache gegenüber Obszönität und Vulgarität geben.

Stattdessen lief man in einem Hochmut von Narzissmus und Egomanie Gefahr, viele der Fortschritte und Errungenschaften aus der Vergangenheit wieder preiszugeben. Denn es ist vor allem das demonstrative und konfrontierende Auftreten in der Öffentlichkeit, mit der man Dehors und Tugendhaftigkeit herausforderte. Dieser Vereinnahmung entsage ich mich auch weiterhin, weil ich mir völlig darüber bewusst bin, dass ich mit meiner Vorliebe in der Minderheit bin. Deshalb ist es mir plausibel und gewöhnlich, mich nicht über die zu stellen, die ihre heteroerotische Existenz ebenfalls nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen. Sondern die das Privatleben dort lassen, wo es hingehört – in der Regel also ins Schlafzimmer. Wahrscheinlich bin ich bislang auch deshalb nicht in Konflikt geraten, weil ich mich zunächst einmal als Individuum definiere – welches bei einem Kennenlernen niemandem auf die Nase bindet, wofür es sich im Bett erwärmen lässt. Es muss ein immenses Insuffizienzbehagen sein, wenn man sich vorrangig über ein Merkmal kongruent wahrnimmt, das den Homo sapiens nach einer Sozialisation eigentlich nicht mehr dominieren sollte. Da die Instrumentalisierung mittlerweile aber selbst vor unseren Kleinsten keinen Halt mehr macht, sondern sie nicht selten in einer Manier der Förderung von Verschiedenartigkeit erzogen werden, ist es auch wenig verwunderlich, dass sich immer mehr Junge auf eine schier endlose Fahrt über das Meer des Pluralismus begeben – ohne jemals in einem Hafen anzukommen, in dem man vor Anker gehen könnte. Sie wachsen im Kontinuum zur Laissez-Faire-Mentalität der Spät-68er-Verblendeten auf, welche jegliche Verpflichtung abnimmt – und einen Zustand als Ideal anseht, in dem man sich nie entscheiden und festlegen muss. Dass man es als Chamäleon in einem Verbund schwer haben wird, der bei allem Verständnis für Liberalismus und Eigenmächtigkeit auf eine gewisse Harmonisierung seiner unterschiedlichen Mitglieder angewiesen ist, erklärt auch die immerwährende Empörung der Wankelmütigen, die sich unter der Androhung des Vorwurfs, von der Allgemeinheit stigmatisiert zu werden, beständig von der Wirklichkeit entfernen.

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