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Gott zwischen Unverständnis und Ernüchterung: Was hat der Mensch aus der Kirche gemacht?

Kommentar von Dennis Riehle

Mein Kindheitstraum war es, Theologie zu studieren – und Pfarrer zu werden. Und ich habe an dieser Wunschvorstellung auch sehr lange festgehalten. Doch die ersten Brüche mit der Institution begannen, als sich das Bodenpersonal in einer selbstgefälligen Weise dazu aufschwang, mich aufgrund einer in der Pubertät eingesetzten Zwangs- und Depressionserkrankung darauf hinzuweisen, dass die Kirche keine psychisch kranken Seelsorger gebrauchen könne. Auch war es meine bekanntgewordene Homosexualität, die nach Auffassung der Obrigkeit in der Lage dazu gewesen wäre, den inneren Frieden der Gemeinde zu stören. Und als man zusätzlich an mich herantrug, dass ich mit meinem metaphorischen, nicht buchstabengetreuen Glauben lediglich Eulen nach Athen tragen würde, war für mich der Moment gekommen, diese eindeutige Ausladung auch zu vollziehen. Meinen Austritt habe ich seither nicht wirklich bereut, meinem Christsein bin ich dennoch treu geblieben – auch wenn ich viele Phasen des Zweifelns, Ringens und der zeitweisen Entfremdung durchlebt habe. Mittlerweile bin ich allerdings froh, dass ich nicht weitergekommen bin als bis zur Ausbildung als Prädikant und in der Seelsorge. Denn spätestens in diesen Tagen hätte ich aus freien Stücken meinen Hut genommen. Denn was ist von den Konfessionen geblieben? Sie sind im Rückfall begriffen, eigentlich überwundene Praktiken neu zu etablieren.

Dabei sei vor allem an die Moralpredigt mit dem erhobenen Zeigefinger von der Kanzel herab gedacht, die man doch hinter sich lassen wollte. Heute spricht diese mahnenden Worte allerdings nicht mehr der Priester, sondern Luisa Neubauer herself. Sie trichtert uns ein, wie wir dem Ziel des „Zero CO2“, zu völliger Kasteiung und Entbehrung, näherkommen sollen. All das unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit, jedoch ohne Substanz. Denn von der biblischen Aufforderung, uns die Erde untertan zu machen – und sie im Bewusstsein auf die eigenen materiellen Ansprüche und Bedürfnisse maßvoll, aber nicht im bloßen Verzicht, zu hegen und zu pflegen -, hat sie bislang wohl noch nichts gehört. Stattdessen verbreitet sie Angst und Schrecken vor einer nahenden Offenbarung des Johannes. Vom Vertrauen in die göttliche Schöpfung, in das Gefüge, die Evolution, die Natur und die Selbstregulierungskraft unseres Planeten, vernimmt man dagegen nichts. Anstelle einer zu den Gläubigen aufzubauenden Beziehung, liefern die Kirchen heute den Gefangenenchor gleich mit. Nichts ist geblieben von der Zuwendung zu den Schäfchen, die darauf warten, in aufgeregten und hektischen Dekaden Sinn und Orientierung in der Zuversicht zu finden. Von einem Hindurchtragen durch die Beklemmungen, Sorgen und Nöte dieser Zeit spürt man kaum etwas.

Dagegen ist man eher bemüht, mit einer Brachialität Gottesdienst in die Moderne zu transferieren – und dabei nicht nur Werte, Liturgie, Dogmatik und Lehre preiszugeben, sondern sich gleichzeitig zum religiösen Handlanger für Zeitgeistigkeit und Gutmenschlichkeit zu machen. Gepriesen wird heute der Klimagötze, getragen die Monstranz der offenen Arme gegenüber jedem. Und das, obwohl die Schrift ganz andere Aussagen zu den Problemen der Gegenwart trifft. Losgelöst vom eigenen Fundament, vertritt man nicht mehr die Überzeugung des Evangeliums, sondern hat kurzerhand das Grundsatzprogramm der Grünen in wohlweislicher Eintracht abgekupfert. Doch einen Abklatsch von politischen Parteien braucht es nicht. Sowohl Protestantismus, Katholizismus haben sich in vielerlei Hinsicht obsolet gemacht. Spirituelle Ermutigung und verlässliche Orientierung sind Mangelware, Beugsamkeit und Anpassungsbereitschaft stehen einer Religion nicht gut zu Gesicht. Und solange man sich nicht zurückbesinnt auf den Kern der Aufgaben und des Auftrags, auf die Mitte und den Fokus in Gott – der weder eine Diskussion über seine *in-Weiblichkeit nötig hat, noch darauf bedacht scheint, sich mit Erderhitzungsphantasien aufgeschreckter Hysteriker zu befassen -, und sich nicht wieder um die individuellen und tatsächlichen Schicksale und Lasten der Menschen im Alltag kümmert, kann Kirche weg.