Kommentar von Dennis Riehle
Egomanie gehört zu den infektiösesten Ursünden der Gegenwart. Immerhin eröffnet das 21. Jahrhundert nahezu sämtliche Möglichkeiten, sich über niederschwellige und publikumsstarke Wege der Sozialen Plattformen in einer schier endlosen Profilierung zu verlieren – welche potenziell jeden von uns zu einem über das gesunde Maß an Bewusstsein hinausgehenden Narzissten ohne Skrupel fortentwickeln kann. Persönliche Interessen und individuelle Ansprüche sind in einer Gemeinschaft in ständigem Wachstum begriffen, welche die Freiheit ad absurdum getrieben hat – und den Kollektivismus als eine hinderliche Hürde auf dem Weg zur Inszenierung und Verwirklichung begreift. Dass es besondere Konstellationen und Institutionen gibt, die eine solche Tendenz und Dynamik noch bestärken, wird jedem außenstehenden und innewohnenden Betrachter von politischen Organisationen bewusst, die als eine Wiege der Ich-Bezogenheit verstanden werden können.
Schließlich gibt es nur wenige andere Vereinigungen und Allianzen, in denen die Wahrscheinlichkeit zur Erlangung von Einfluss so hoch ist wie in einem Verbund an weltanschaulich verbrüderten Idealisten. Galt noch bis vor einiger Zeit das ungeschriebene Gesetz über die Prioritäten, die jedes Mitglied, Sympathisant, Wähler oder Funktionsträger bei seinem Engagement berücksichtigen möge – und sie demnach zuerst an das Volk, dann an die Partei und zuletzt an sich selbst denken lassen soll -, scheint dieses Credo mittlerweile überholt zu sein. Auch wenn man sich immer wieder darum bemüht, Querelen möglichst intern zu klären und dafür nicht die öffentliche Bühne zu nutzen, tritt das Hauen und Stechen oftmals eben doch zutage – weil der Karrierehunger immenser ist als der Einheitswille. Und so braucht man tatsächlich in manchen Fällen keine Feinde mehr, wenn man Freunde um sich hat, die unmittelbar vor einer anstehenden Mitgliederversammlung kurzerhand ein Ausschlussverfahren anstrengen, welches – für jeden durchschaubar – allein aus strategischen Gründen und einer ehrlosen Machtgier über den Zaun gebrochen wird.
Nicht anders geschehen ist ein solches Gebaren in der Alternative für Deutschland, in der sich der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Martin Vincentz auf eine zutiefst illoyale, verräterische und perfide Art und Weise einen wichtigen Posten für sein Lager auf Bundesebene sichern will. Sein ärgster Widersacher in menschlicher und ideologischer Hinsicht ist dabei der bei der Basis überaus beliebte, angesehene und eloquente Abgeordnete Matthias Helferich, der dem patriotischen, identitären und wertkonservativen Spektrum angehört – und damit diametral gegensätzlich zum wirtschaftsliberalen und gemäßigten Flügel um den Fraktionschef angesiedelt ist. Er steht mit einer zugewandten Bürgernähe, einem uneingeschränkten Bekenntnis zum Vorfeld und mit klarer Kante in seinen Parlamentsreden auch deshalb im Kreuzfeuer zwischen Systemjournaille und seinen Gegnern aus den eigenen Reihen, weil er es in einer rhetorisch brillanten Fähigkeit neidvoll vermag, die Probleme und Herausforderungen der Aktualität nicht nur zu artikulieren, sondern auch konsequente Lösungsvorschläge zu formulieren – die manch einem liberalen Vertreter seiner Zunft zu weit gehen mögen.
Allerdings ist das vehemente Engagement für die Rückführung von Flüchtlingen umfänglich mit den Geboten der Verfassung vereinbar, die uns nicht nur dazu auffordert, an einer Regelhaftigkeit festzuhalten – welche in einem unmissverständlichen Tenor das Zugeständnis eines entsprechenden Schutzstatus von einer nachgewiesenen Verfolgung in den Ursprungsregionen abhängig macht. Dass diese Bedingung in unseren Breiten schon lange nicht mehr eingehalten wird, das belegen unter anderem die Statistiken über eine stabile Anzahl an abgelehnten Asylanträgen. Wer angesichts dieses Befundes für eine rigorose Abschiebung derjenigen eintritt, die keine Aufenthaltsberechtigung in diesem Land mehr besitzen, illegal eingewandert sind, durch Straftaten auffällig wurden, keinen Integrationseifer zeigen oder ihren Pass auf der Reise nach Europa in der Luft zerrissen haben, verhält sich in hohem Maße grundgesetzkonform. Die nun zur Unzeit mitten im Wahlkampf kommenden Vorwürfe im innerparteilichen Streit gegen Helferich sind in ihrer Konsistenz und Plausibilität am Ende allerdings nicht tragfähig – und besitzen mit ihrem Eskalationspotenzial auch die Dimension, die gesamte Alternative für Deutschland in ihren Grundfesten zu erschüttern.
So wird ihm unter anderem ein Post aus der jüngeren Vergangenheit angelastet, auf dem sich die Ablichtung eines handelsüblichen Autoanhängers mit der Aufschrift „Raus mit die Viecher“ findet – welchen der 35-Jährige mit einer unterstreichenden Markierung und dem Terminus „Remigration“ versehen haben soll. Inwieweit es sich tatsächlich um eine Veröffentlichung des Dortmunders handelt, scheint bislang ebenso wenig geklärt wie die Echtheit und Herkunft der Abbildung – und die damit einhergehende Anschuldigung, er habe sich mit einer Animalisierung von Menschen gemeingemacht. Um eine mögliche Argumentationskette rund zu bekommen, wird ebenso darauf verwiesen, dass sich auch in früheren Publikationen Anzeichen für eine extremistische Gesinnung finden sollen. So bezeichnete sich der Rechtsanwalt gemäß Presseberichten und Dokumentationen über vermeintliche Äußerungen in den Neuen Medien damals als „das freundliche Gesicht des NS“.
Betrachtet man diesen scheinbaren Beleg – und setzt ihn vor allem in eine Kontinuität zu den vielen Verlautbarungen des Mandatars über einen perspektivischen Zeitraum hinweg, so lässt sich in seinen Kundgaben nicht selten ein augenscheinlich erkennbarer Sarkasmus und eine scharfzüngige Ironie feststellen, welche natürlich jene geflissentlich übersehen, die ihm nun einen Strick daraus drehen wollen. In Wahrheit geht es nicht um seine programmatische Haltung, sondern um den von Missgunst und Arglist angetriebenen Versuch, einen Konkurrenten mundtot zu machen, welcher sich einem enormen Unterstützerkreis sicher sein kann. Denn nicht nur bei der alternativen Jugend ist er hoch im Kurs. Seine Geradlinigkeit, Stabilität und Authentizität schätzen auch diejenigen, die mit größtem Unverständnis und Verärgerung auf die Bestrebungen blicken, ihr Zugpferd an die Kandare zu nehmen. Juristisch dürften sich die Ambitionen allerdings in Luft auflösen. Denn die Absonderung eines Mitglieds aus einer Partei ist in Deutschland zu Recht an höchstmögliche Bedingungen geknüpft – um damit auch die Meinungsvielfalt zu gewährleisten.
Schlussendlich hat sich gerade Vincentz in den vergangenen Tagen als ein ketzerischer Häretiker bewiesen, welcher auf ihm wohlgesonnenen Propaganda-Kanälen mit einem schier unfassbaren Ausmaß an Denunziation seines Herausforderers nicht nur eine charakterliche Ungeeignetheit offenbart. Stattdessen scheint er einer immensen Kompensation an Insuffizienzempfinden bedürftig, tritt er doch mit einem von Grund auf unsympathischen Hochmut und einer spürbaren Sehnsucht nach Kontrolle und Führung hervor. Dass solche Wesensmerkmale in der Politik mittlerweile en vogue sind, kann nicht über seine fehlende Tugendhaftigkeit hinwegtäuschen. Denn es ist nicht nur Sitte und Brauch, in einem ohnehin durch äußere Angriffe, inszenierte Skandale und aufgebauschte Affären belasteten Gefüge auf Geschlossenheit und Integrität hinzuarbeiten. Schädigendes Verhalten gegenüber der Partei liegt gerade dann vor, wenn die Suche nach Autorität, Ansehen und Regime über den Gedanken der Souveränität für die Gruppe gestellt wird. Eigentlich hatte man gedacht, die AfD habe aus der Vergangenheit gelernt und sehe künftig von Gezänk im Rampenlicht ab.
Doch noch immer scheint der Hauch von Jörg Meuthen und seiner Jüngerschaft nicht überwunden zu sein, welcher schon einmal zu Abspaltungen, Zerrüttungen und einem Scherbenhaufen eines hart erarbeiteten Prestiges führte. Wer in Zeiten des Wahlkampfes, in dem sich bereits das gesamte Kartell von Kolumnisten bis Publizisten, von CDU bis Grünen, gegen die Blauen verschworen hat – und mit der Vorbelastung durch die herbeigeredete Causa um Maximilian Krah und Petr Bystron ein immenser Druck auf den Verantwortlichen lastet, mit einem Intrigantenstadl auf sich aufmerksam machen möchte, der erweist sich eben nicht nur als unsolidarisch, treubrüchig und sektiererisch. Sondern er nimmt auch die Schlagkraft einer geeinten Opposition, welche sich in einer Dekade der nötigen Trendumkehr das Erfordernis von Substanz, Unbescholtenheit und Disziplin ins Blickfeld rücken sollte. Auch wenn nicht zu erwarten ist, dass die Stammklientel aufgrund solcher theaterreifen Schauspiele an Intriganz, Infamie und Impertinenz von ihrer Fürsprache ablassen wird, so ist es doch eine denkbar schlechte Performance, die sich die Alternative im Augenblick aus eigener Motivation heraus leistet.