Kommentar von Dennis Riehle
Nun ist es wieder einmal soweit. Der Heilige Abend lädt uns ein, die stille Nacht vorzubereiten. Und eigentlich wäre das ein Grund zur Dankbarkeit, zur Demut und zum Innehalten. Doch nachdem wir auch während Corona viele dunkle Dezember erleben mussten, ist diese zweithöchste Gedenkstunde des Kirchenjahres auch 2024 wieder getrübt von so vielen Krisen und Kriegen allerorten. Aber eben auch von bitteren Realitäten in unserem Land. Der Anschlag von Magdeburg hat uns noch einmal in voller Grausamkeit vor Augen geführt, wie zerbrechlich unser Dasein auf diesem Planeten ist. Es sollte ein ausgelassener Anlass sein, sich auf dem Adventsmarkt ruhig und besinnlich auf das Bevorstehende einzustimmen. Doch er endete in Tod, Verwundung und Trauer. Letztlich war abzusehen, dass die Atmosphäre in unserer Gesellschaft kippen wird, sollte irgendwann dieser eine Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen. Genug ist genug.
Und deshalb sind sämtliche Bemühungen unredlich, unter dem Vorwand der Pietät gegenüber den Opfern eine vermeintliche Instrumentalisierung zu unterbinden. Wahrhaftig ist das schwere Kost an einem Tag, der doch Zuversicht spenden soll. Denn eigentlich symbolisieren uns die Kerzen am Tannenbaum, was wohl auch im bekanntesten Lied für den heutigen Augenblick festgeschrieben steht: „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren: Freue, freue dich, o Christenheit!“ (EG 44,1). Obwohl dieser Erdball in vielerlei Hinsicht an einem Abgrund steht, an den sich der Mensch selbst durch seine Bereitwilligkeit zur Feindschaft herangeführt hat, möchte uns zumindest Gott nicht aufgeben. Doch es braucht keinesfalls einen gefestigten Glauben an die Geburt Jesu, um die Botschaft aus der Krippe zu verinnerlichen.
Wir sollen das Geschenk des Lebens, aber auch die uns anvertraute Schöpfung hegen und pflegen. Doch schon Adam und Eva sind der Versuchung erlegen, im Zweifel zum Sünder zu werden. Und trotzdem ist dieser Menschheit die Chance gegeben, immer wieder auf Anfang zu gehen – und sodann zu versuchen, nach Kräften und Mühen das Beste aus dem Erbarmen zu unserer irdischen Existenz zu machen. Niemand erwartet von uns Wunder. Denn dafür sind ausgewählte Retter zuständig, die allerdings weder mit Vornamen Robert noch mit Nachnamen Merz heißen. Was wir in unserer beschränkten Einflussnahme auf die Geschehnisse der Zeit tun können, das ist beispielsweise die souveräne Entscheidung an der Wahlurne am 23. Februar. Oder auch das solidarische Bekunden, alles in unserer Macht Stehende zu tun, dass eine terroristische Horrorfahrt oder ein bestialischer Messerstich nicht ungesühnt bleiben. Und den Zusammenhalt in schwierigsten Phasen zu beweisen, in denen der Verrat an Volk und Nation um weitere Spaltung bedacht scheint.
Es ist nicht der Augenblick für Rache. Aber wir können im Geiste eines fragilen Kindes, das in Windeln gewickelt und zwischen Tieren und Heu ankommt, nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei uns so viel im Argen ist. Solch eine Lüge ist nur denjenigen nahe, die sich vor Verantwortung drücken und ihre Mitschuld leugnen. Wenn eine Saat in den Boden gelegt wird, um zu keimen und wachsen, dann braucht das kleine Pflänzchen Wasser und Zuwendung. Übersetzt bedeutet das: Lassen wir die Gelegenheit nicht ungenutzt, durch einen Neubeginn unter der Leuchtkraft des Sternes über Bethlehem ehrlich mit uns und der Politik zu sein. Der Erlöser ist nicht gekommen, damit alles so weitergeht wie bisher. Ja, wir schaffen das! So sagte es eine Kanzlerin. Und tatsächlich sind wir in der Lage, auch jetzt noch umzukehren. In allen Einbahnstraßen unseres eigenen Alltags, aber auch im großen Ganzen.