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Ein Schlussstrich unter die Sternchen-Ära: Wie die deutsche Sprache zum Usus zurückfindet!

Kommentar von Dennis Riehle

In diesen Tagen muss ich manches Mal schmunzelnd an meine Schulzeit zurückdenken. Denn da gab es einen Deutschlehrer, der vehement der Auffassung gewesen ist, dass aus mir nie ein großer Schreiberling werden würde. Einerseits hatte es mir aus seiner Sicht an Kreativität dafür gefehlt. Selbst in Sachen Grammatik schien ich nicht unbedingt ein Vorbild gewesen zu sein. Auch heute bin ich weit davon entfernt, mich als einen überdurchschnittlichen Journalisten zu bezeichnen. Stattdessen bin ich einer von den mittlerweile in der deutlichen Minderheit stehenden Presseschaffenden, die nach ihrem Verständnis noch immer als skeptische, kritische und distanzierte Beobachter der herrschenden Klasse und des Zeitgeistes fungieren – und nicht als gespaltene Persönlichkeit ständig zwischen den Rollen hin und her wechseln. Als Hofberichterstatter der Regierung habe ich mich schon allein deshalb nie verstanden, weil es von ihnen bereits genug gibt – und mein Berufsethos diametral einer solchen Definition entgegenstand. Und so bin ich zu einem Arbeiter im Weinberg der Demokratie, der Meinungsfreiheit und des Widerspruchs geworden, der im Gegensatz zu der Prognose seines früheren Pädagogen irgendwann doch viel Freude am Umgang mit Lauten, Zeichen und Satzbau entwickelt hat. Dies liegt nicht zuletzt auch daran, dass unsere Sprache so viele Möglichkeiten des Ausgestaltens bietet. Dabei können wir beispielsweise auf eine große Vielfalt an Synonymen, an Neuschöpfungen und an Metaphorik blicken, die nahezu zu einem künstlerischen Umgang mit all ihrem Vokabular einladen. Nicht umsonst kommen namhafte Dichter und Denker der Geschichte und des Heute aus unseren Gefilden.

Denn es hat sich über die Jahrhunderte hinweg ein Schatz an denkbaren rhetorischen Termini ausgebildet, dass man doch eigentlich meinen sollte, mit dieser profunden Grundlage all das ausdrücken zu können, was uns auf der Zunge liegt. Allerdings würden wir kaum im 21. Jahrhundert leben, wenn es den kämpferischen Progressivismus nicht gäbe, welcher es sich zur penetranten Aufgabe gemacht hat, all das Bestehende, Bewährte und Beflügelte nahezu obsessiv überwinden zu wollen. Selbstredend steht auch das Wortmaterial ständig unter dem Eindruck und Einfluss von Wandel und Veränderung. Da werden immer wieder passende und in den Umgang eingepflegte Ausdrücke aus anderen Kulturkreisen für unsere Breiten als gängig und verbindlich erklärt. Und bisher zeigten sich beispielsweise die „Duden“-Redaktion oder der Rechtschreibrat für mein Verständnis zu lax, wenn sie allzu selbstverständlich Begriffe in ihr Verzeichnis aufnahmen, die vom „Mainstream“ ausgehend zur Gewohnheit in unserer Rede wurden. Noch heute hadern viele Menschen mit den Reformen ab 1996, denn wir sind nun einmal Geschöpfe mit einer gewissen Tendenz zur Routine. Und möglicherweise liegt es unter anderem auch daran, dass die Überzahl in diesem Land eine geschlechterneutrale Artikulation ablehnt. Ob diese nun mit Sternchen, Unterstrichen oder Binnen-I erfolgt – oder mit zwanghaft aus dem Boden gestampften Brocken wie „Ens“, „xier“, „hens“, „pers“ oder „iks“ -, spielt dabei weniger eine Rolle. Stattdessen entpuppt sich die Ideologie der Nonbinarität als Angriff auf Funktionierendes, Geregeltes und Anerkanntes. Das verbohrte Bemühen um eine Umwälzung des kollektiv Vereinbarten hat dabei wenig zu tun mit einem Empfinden von potenzieller und subjektiver Diskriminierung.

Denn bis vor kurzem hat sich bei uns kaum eine Frau darüber aufgeregt, dass wir uns nun einmal auf das generische Maskulinum geeinigt hatten. Da kam niemand auf die Idee, sich deshalb in seiner Weiblichkeit nicht ernst genommen zu fühlen, weil nun einmal in der Werbung dazu aufgerufen wurde, bei Risiken und Nebenwirkungen den Arzt oder Apotheker aufzusuchen – und eben nicht auch noch die Ärztin. Expression und Redefluss wurden nicht durch _innen und :außen behindert, sondern auch manch eine Feministin hatte noch genug Eigenbewusstsein in sich, auch ohne eine derartige Verunstaltung respektiert und ebenbürtig zu sein. Der narzisstische und egozentrische Wille, der Mehrheit nahezu infantil und bockig nur deshalb etwas Neues aufdrücken zu wollen, weil es an alternativen Optionen fehlt, seine Minderwertigkeitskomplexe zu kompensieren, ist besonders in der aktuellen Dekade derart präsent, dass er sogar zu Spaltung und Polarisierung in der Gesellschaft beiträgt. Dabei ist gerade die Sprache als ein Brauchtum, eine Tradition und eine Überlieferung eigentlich bestens zu Verständigung, Versöhnung und Identifikation geeignet. Dass dies aber jene nicht erkennen wollen, denen es um das sture Durchsetzen ihrer Traumvorstellungen geht, wissen wir unter anderem auch durch manch einen Grünen, der sich ebenfalls im Oktroyieren einer ökologischen, aber keinesfalls nachhaltigen Weltsicht versteigt.

Insbesondere unter Berücksichtigung dieser Konstellation ist es nur allzu löblich, dass sich das zuständige Gremium nun darauf geeinigt hat, dem Gebaren der Beliebigkeit und Willkür einen Riegel vorzuschieben. Ohnehin kehrt es mit seinen Entschlüssen zum Kontinuum dessen zurück, worauf nicht nur die ältere Generation beständig gewartet hatte. Künftig gelten also nicht nur Sonderzeichen innerhalb eines Wortes als Fehler, sondern die Schreibweisen „Jogurt“, „Spagetti“ und „Tunfisch“ gehören ebenfalls der Vergangenheit an. Es ist ein Bekenntnis zur Bedeutung von Erbe, Gepflogenheit und Authentizität, wenn mit manch einem Spuk der Gegenwart aufgeräumt wird. Denn es ist nicht nur der Eindruck, dass Doppelpunkte zwischen Buchstaben auf den ersten Blick falsch anmuten – und dort auch nichts zu suchen haben. Stattdessen hat die übertriebene Sensibilität der Hypertoleranz auch dazu geführt, dass ein Sprecher nach jedem zweiten Konsonanten stolperte – und vor jedem dritten Vokal erst einmal durchatmen musste. Die Flüssigkeit ging sowohl beim Lesen wie auch beim Verstehen verloren. Das hiermit vor allem auch diejenigen ausgegrenzt und an der Teilhabe gehindert wurden, die mit der bisweilen ohnehin schwierigen deutschen Orthographie und Interpunktion Probleme hatten, bedachten diejenigen nicht, die mit Brachialität und Rigorosität ihren Dickschädel durchzusetzen beanspruchten. Ihnen geht es prinzipiell nicht um den Zusammenhalt, sondern um knallharten Individualismus. Dass ihrer Attacke auf unsere Kultur Einhalt geboten wurde, ist auch ein Sieg der Vernunft. Denn eine Diktatur der Wenigen ist bereits in anderen Bereichen des täglichen Lebens, Denkens und Handelns voll im Gang.