Kommentar von Dennis Riehle
Mittlerweile ist es nicht mehr nur ein gut gemeinter Ratschlag, sondern ein Credo aller Menschen mit ein wenig Restverstand: Als Studien deklarierten Versuchen, Wahrheiten zu schaffen, sollte man heutzutage tatsächlich nur noch dann glauben, wenn man sie entweder selbst gefälscht hat – oder mit ein wenig Skepsis und Distanz nach deren Lektüre tatsächlich der Eindruck verfängt, dass eine der wenigen Ausnahmen unter den Wissenschaftlern gegen den Strom schwimmend die gültigen Maßstäbe für Objektivität, Unvoreingenommenheit und Ergebnisoffenheit angewandt hat. Dass man dies bei einer aktuellen Erhebung allerdings nicht für denkbar halten kann, ergibt sich bereits aus der Fragestellung, die die sogenannten Experten offenbar im Auftrag der Kirchen zu untersuchen hatten. Lässt sich der christliche Glaube mit einer Fürsprache für die AfD vereinbaren? Dass man für die Antwort heutzutage nicht erst auf die Ergebnisse der Forscher warten muss, sondern bereits im Vorhinein prophezeien kann, zu welchem Resultat man gelangt ist, führt die völlig absurde Abhängigkeit weiter Teile der Empirie von der zeitgeistigen Ideologie zutage. Wenn ihre Evaluation bereits auf dem Konsens fußt, dass es nun einmal zur Tradition im 21. Jahrhundert gehört, das konservative Profil abzulegen – und sich dem Kartell der Gutmenschlichkeit anzuschließen, dann kann man die Konklusionen bereits erahnen. Da betet die „Letzte Generation“ auf dem Altar für kältere Temperaturen. Da wird die Eucharistiefeier unter dem Regenbogen abgehalten. Da werden Spenden für die private „Seenotrettung“ im Mittelmeer gesammelt. Und da entfernt man Mitarbeiter aus ihrer Position, wenn diese sich erdreisten, das in der Demokratie verbriefte Recht auf freie Wahl auszuüben.
So verstehen sich die Konfessionen nicht erst seit gestern als spiritueller Arm des regierenden Establishments – weil das Gemeinmachen mit den Einflussreichen sowohl Katholizismus wie auch Protestantismus nicht zum ersten Mal in der Geschichte vorgeworfen wird. Entsprechend überraschend ist es auch nicht, dass man die Bibel durch eine immer biegsamere Exegese zu einer Ansammlung von Zeugnissen der moralinsauren Beliebigkeit degradiert – und sich einer waghalsigen Interpretation an den Hals wirft, die mit den ursprünglichen Texten eigentlich nichts mehr zu tun hat. Dass sich die Bischöfe mit ihrer Haltung der Segregation von Unterstützern der Alternative für Deutschland gegen wesentliche Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik stellen, die eine Benachteiligung aufgrund der politischen Einstellung verbieten, ist die formaljuristische Dimension eines Gebarens, das mit Barmherzigkeit schlichtweg unvereinbar ist. Viel verwerflicher ist in diesem Zusammenhang die schamlose Distanzierung von der Heiligen Schrift, die als das Fundament der Religionsgemeinschaft bindenden Charakter besitzt. Und da kann man auch nicht in Patchwork-Manier einzelne Zitate aus dem Kontext herausreißen – und sie zu einer völlig neuen Botschaft verquicken, die im gleichen Atemzug entscheidende Passagen aus anderen Fundstellen unberücksichtigt lässt. Die eklatanten Verstöße beginnen bereits in der Missachtung des Römerbriefs, in dem es heißt: „Es ist kein Ansehen der Person vor Gott“ (Kapitel 2, Vers 11 – LUT). Mit dieser Feststellung hat der Apostel Paulus auch die bedingungslose Annahme eines jeden Menschen durch den Vater unterstrichen.
Das, was das Bodenpersonal derzeit an aktiver Ausgrenzung von Personen betreibt, über die man eine Fürsprache für die AfD mutmaßt, wird als ein schändliches Beispiel durch das Gleichnis in 1. Mose 30,32 LUT beschrieben: „Ich will heute durch alle deine Herden gehen und aussondern alle gefleckten und bunten Schafe und alle schwarzen Schafe und die bunten und gefleckten Ziegen. Was nun bunt und gefleckt sein wird, das soll mein Lohn sein“. Nein, die Agape zwischen dem Schöpfer und seinen Ebenbildern lässt sich durch keine politische Ansicht ins Wanken bringen. Sie ist unmissverständlich bei Johannes festgehalten worden: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“. Da wird nicht unterschieden, ob der Mensch die Alternative für Deutschland bevorzugt. Und selbst wenn sich der Einzelne für eine Gesinnung einsetzen würde, die selbst mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar wäre – was die Programmatik der Partei allerdings zweifelsohne ist, so obliegt es nicht der Institution, hierüber zu urteilen. Es war einer der Kerngedanken der Reformation, dass wir uns allein gegenüber dem Allmächtigen zu rechtfertigen haben. Die beständige Anmaßung des Klerus, sich als Entscheider aufzuspielen – und individuelle Maßstäbe des Wissens über den göttlichen Willen anzulegen, um sich als Hirte in einer überheblichen Manier über seine Herde zu stellen, verletzt die Dogmatik allzu offenkundig. Es war ausgerechnet der wohl bekannteste Reformator, der eine Besserstellung der Gelehrten ablehnte. Das sich aus der Offenbarung 1,6 abgeleitete Priestertum aller Gläubigen verwirft die Annahme, dass Pfarrer oder Bischof einen höheren Rang einnehmen als der Laie.
Insofern ist deren Ermessen nicht anders einzuschätzen oder zu würdigen als das der Gemeinde. Mit ihren vollmundigen Ankündigungen werden sich all die Repräsentanten kirchlicher Strukturen nicht nur Rechtsstreitigkeiten ausgesetzt sehen – sondern sie werden vor allem ihrem eigenen Statut gemäß die Verantwortung tragen müssen: „Ich sage euch aber, dass die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie reden“ (Matthäus 12,36 LUT). Es war schon der Evangelist Lukas, in dessen Buch wir die Mahnung finden (Kapitel 6, Vers 37 LUT): „Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt“. Letztendlich stellt sich auch die Frage, an welchen Stellen die Ideologie der AfD mit den christlichen Werten inkompatibel sein soll. Immer wieder wird das Thema der Migration angeführt. Und natürlich gilt die Nächstenliebe prinzipiell jedem Gegenüber. Doch es waren bereits die Einlassungen von Bruno Schüler, welcher in seinem Werk „Die Begründung sittlicher Urteile. Typen ethischer Argumentation in der Moraltheologie“ (Düsseldorf 1980, Seite 109) aus der Parabel des Barmherzigen Samariters die Schlussfolgerung ableitete, dass die Verwirklichung des Ideals einer universellen Zuwendung gegenüber allen Bedürftigen der Welt abgestuft erfolgen muss – und dabei „zwischen dem Nahen, dem Näheren und dem Nächsten“ schattiert. Während die bekannte Aufforderung „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ aus 3. Mose 19,18 LUT konkretisiert, bleibt Matthäus 5,44 LUT allgemein: „Liebet eure Feinde“.
Daher gilt ein Vorzug für den mir unmittelbar nebenstehenden Hilflosen – und für den „Fremden“, der im Alten Testament als ein Ausgegrenzter innerhalb der eigenen Gruppe verstanden wird. Dem Auswärtigen – aus fernen Kulturkreisen Stammende -, „der nicht von deinem Volk (Israel) ist“ (1. Könige 8,41 LUT), „verkauft“ man etwas, während man dem Einheimischen gemäß 5. Mose 14,21 LUT etwas „gibt“. Und noch klarer werden die Worte aus Deuteronomium 17,15: „Nur aus der Mitte deiner Brüder darfst du einen König über dich einsetzen. Einen Ausländer darfst du nicht als König über dich einsetzen, weil er nicht dein Bruder ist“. Insofern ist es völlig an der Überlieferung vorbei, mit endlichen Ressourcen und knappen Kapazitäten den Anspruch zu erheben, sämtliche Schicksale auf diesem Globus zu kompensieren. Und so ließ sich der Philosoph Robert Spaemann in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 8. Januar 2019 wie folgt ein: „Uneingeschränkt kann die Hilfsbereitschaft sein, aber nicht die tatsächliche Hilfe. Es kann nicht unsere Pflicht sein, uneingeschränkt zu helfen, weil es nicht möglich ist. Wir können es nicht. Und wir sollten auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn wir unserer Hilfe Obergrenzen setzen. Zudem ist es so, dass, wenn es solche Grenzen gibt, man auswählen muss, wen man nimmt und wen nicht“. Es ist eine utopische Vorstellung einer gutmenschlich weichgespülten Anhängerschaft der offenen Arme gegenüber jedem, die momentan diejenigen reitet, die händeringend nach einer Begründung suchen, um ihre persönliche Aversion gegen die AfD auszuleben. Dass all ihre Versuche jedoch auf tönernen Füßen stehen – und nicht auf dem festen Grund ihrer Weltanschauung, wird ihnen spätestens durch die nächsten Zahlen der Austritte vor Augen geführt.