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Die Ultimaten von Putin und Hitler: Wenn sich Selenskyj geschichtlich verirrt!

Kommentar von Dennis Riehle

Spricht man in diesen Tagen mit den letzten Zeitzeugen des Dritten Reichs, so macht sich bei ihnen nicht selten eine gewisse Frustration und Entrüstung breit. Denn der inflationäre Vergleich der Gegenwart mit dem dunkelsten Kapitel unserer Historie ist ein zutiefst demütigender Schlag ins Gesicht derjenigen, die die Begrifflichkeit des „Nazis“ nicht etwa aus dem Wortschatz der „Antifaschisten“ von 2024 übernommen haben, sondern tatsächlich noch erlebten, was es bedeutet, unter einem solchen Regime aufgewachsen zu sein. Letztlich sind sich viele der progressiven Kräfte heutzutage überhaupt nicht mehr des Umstandes bewusst, in welch eklatanter Art und Weise das barbarische Wirken zwischen 1933 und 1945 durch diese ständige Parallelisierung relativiert und beschönigt wird. Besonders grotesk wird es aber, wenn diese seit knapp acht Dekaden ausgestorbenen Vokabeln von jenen benutzt werden, die nicht einmal deutsche Wurzeln haben – und zugleich selbst dem Vorwurf ausgesetzt sind, sich in einer verwerflichen Variante des Nationalismus zu gebärden. Und so sollte die Empörung groß sein über die Äußerungen von Selenskyj, welcher offenbar in einer ebenso großen Geschichtsvergessenheit verhaftet ist wie beispielsweise die beiden Genossen Lars Klingbeil und Saskia Esken – welche im Bedarfsfall schon einmal Goebbels bemüht, um die AfD treffend zu beschreiben. Da ist nun also das Friedensangebot aus dem Kreml in der Überzeugung von Kiew mit dem Ultimatum zu vergleichen, welches Deutschland im Zweiten Weltkrieg gesetzt hat. Man muss sich schon auf die Suche nach äußerst unterschiedlichen Äpfeln und Birnen machen, um seine Hirnwindungen zu der Auffassung gelangen zu lassen, dass es sich – bei aller unzweifelhaften Bestialität der Geschehnisse – in der aktuellen militärischen Auseinandersetzung zweier Staaten auch nur ansatzweise um eine Entwicklung handelt, welche mit der Vergangenheit Gemeinsamkeiten aufweist. Offenbar war sich der ukrainische Präsident bei seinen Verlautbarungen selbst nicht ganz gewiss über das, was er in die Mikrofone sprach.

Denn es zeugt schon von massiven Bildungslücken, wenn er sich in seiner Ekstase in einer Neuinterpretation des Münchner Abkommens versteigt – und komplexe Verknüpfungen auf die Feststellung herabbricht, dass „Hitler das Gleiche gemacht [hat], als er sagte: Gebt mir einen Teil der Tschechoslowakei und wir beenden das Ganze. Aber nein, das sind Lügen“. Tatsächlich gab es mehrere Versuche der Nötigung und Erpressung, welche einst von den unterschiedlichsten Seiten propagiert wurden. So hatte sich der „Führer“ im September 1938 mit dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Italien darauf geeinigt, dass das Sudetenland an ihn abgetreten werde. Präsident Beneš kapitulierte angesichts dieser Drohkulisse – und es wurden kurzerhand neue Grenzen geschaffen. Dass man solche Situationen im 21. Jahrhundert vermeiden wollte, das steht letztendlich außer Frage. Doch wenn man sich einmal die Kausalitäten der momentanen Dynamik ansieht, so ergeben sich doch wesentliche Differenzen bei der Betrachtung von damals und heute. Natürlich wurde mit der Besetzung der Gebiete um den Donbass eine grundsätzlich völkerrechtswidrige Tatsache geschaffen. Und natürlich entspricht es dem Ideal, sich in einer Ordnung nicht von fremden Staaten annektieren zu lassen. Daher ist die Verteidigung der Ukraine ein allzu hehres und legitimes Vorgehen. Vergegenwärtigt man sich allerdings die Zusammenhänge, die zum Ausbruch der Eskalation geführt haben, so wäre es eindeutig zu kurz gegriffen, allein auf Putins Imperialismus abzuzielen. Was spätestens mit den Protesten auf dem Maidan begann, entsprach einer eklatanten Missachtung der Interessen der russophilen Bevölkerung im Osten des nunmehr angegriffenen Landes. Denn selbstverständlich gab es von Seiten des Westens in den 1990er-Jahren zumindest mündliche Zusicherungen, dass sich das transatlantische Bündnis nicht weiter ausdehnen werde. Dieses Versprechen wurde aber faktisch dadurch gebrochen, unter fehlender Berücksichtigung der Ansprüche aus den Regionen Luhansk und Donezk, den proeuropäischen Präsidenten Poroschenko zu installieren – und das unter der augenscheinlichen Mitwirkung der USA.

In diesem Augenblick verlor Kiew den Status einer neutralen Pufferzone, welche wesentlich dafür verantwortlich war, das globale Gefüge im Gleichgewicht zu halten. So war Moskaus Überfall auf den Nachbarn unzulässig und keinesfalls zu rechtfertigen, aber argumentativ nicht vollkommen abwegig. Dieses Eingeständnis stellt eine wesentliche Divergenz zu dem Großmachtstreben des deutschen Diktators dar, dem es weniger aus politischen, sondern vielmehr aus ethnischen Erwägungen um Einverleibung ging. Natürlich kann man sich weiterhin auf den Standpunkt stellen, aus dem Gedanken von Vergeltung, Rache und Gerechtigkeit im derzeitigen Konflikt nicht nachzugeben. Nachdem es aber aufgrund der Aktualität auch keine Wahlen gibt, fällt es doch einigermaßen schwer, die Stimmungslage in der Bevölkerung authentisch abzubilden. Hängt also weiterhin die Mehrheit dem engagierten Bestreben von Selenskyjs nach Revanche an – oder ordnet die Basis diesen Enthusiasmus dem Rationalismus unter, nicht noch mehrere Opfer und Schäden zu riskieren? Die Mutmaßungen darüber, dass sich der Kreml im Falle eines Sieges dazu animiert sieht, weitere Staaten zu unterjochen, fußen vor allem auf Prognosen von amerikanischen „Think Tanks“, die man sicherlich nicht als eine allzu glaubwürdige Referenz anführen kann. Irgendwie ist es verständlich und nachvollziehbar, dass niemand gerne etwas von seinem Territorium abgibt. Ein harmonisches Miteinander der Völker war aber noch nie Realität. Deshalb kommen wir immer wieder an entsprechende Weggabelungen, die uns eine allzu schwierige Entscheidung abverlangen. Nimmt man den Verlust von immer neuen Gefallen in Kauf, um in einer obsessiven Mentalität der Sühne den eigenen Zorn, Hass und Wut auf eine gegnerische Person oder ein feindseliges Land zu kompensieren – oder überwindet man diesen Reiz nach Sanktionierung zugunsten der Unversehrtheit weiterer Menschenleben? Kriege sind kein Wunschkonzert – und keine Gelegenheit für Perfektion, Mustergültigkeit Fantasterei. Da kommt es zu Zumutungen, die auch aus ethischer Perspektive allzu ernüchternd, unfair und bisweilen kaum zu ertragen sind. Doch im Sinne der Zivilisation bedarf es ab und zu pragmatischer Abwägungen. Auch wenn es abgedroschen klingen mag, ist es kein Ausdruck von Schwäche, wenn der Klügere manchmal nachgibt.

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