Kommentar von Dennis Riehle
Sie gehört zu einer der am häufigsten gestellten Fragen – und dürfte trotzdem nie abschließend beantwortet werden: Was ist schon normal? – so lautet das ständige Ringen um Konformität und Konventionalität. Sicherlich könnte ein Zugang zur näheren Eingrenzung lauten: Normal ist das, was ein überwiegender Teil der Gesellschaft für gewöhnlich und üblich hält. Gleichwohl ist die Einigung auf einen Konsens diesbezüglich schon deshalb erschwert, weil es an einem objektiven Maßstab fehlt, der die Grenze des Annehmbaren und Akzeptablen einigermaßen hieb- und stichfest setzen würde. Eine sicherlich fälschliche Definition liegt vor, wenn das Normale daran festgemacht wird, wie angepasst jemand oder etwas ist. Denn gerade in einer Demokratie widerspricht es den Prinzipien der liberalen, unbehelligten und autonomen Entwicklung des Menschen, sich oder seine Meinung nur deshalb auf Kurs zu bringen, weil andernfalls der Wink mit der Moralkeule einer sich in der Überzahl wähnenden Masse droht. Der Anspruch auf Einebnung ist stattdessen ein Merkmal von totalitären und absolutistischen Systemen. Und so ist schon der Untersuchungsgegenstand einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin einigermaßen müßig, das sich anhand der Auswertung von Abstimmungsverhalten in ostdeutschen Kommunalparlamenten zu dem Befund durchringt, dass die „Normalisierungstaktik“ der AfD gescheitert sei. Man möchte entgegenhalten, ob es jemals ein Bestreben der Alternative für Deutschland gegeben hat, sich in irgendeiner Weise mit dem Kartell zu verbünden.
Und überhaupt: Anhand welcher Kritikpunkte will man überhaupt zu der Auffassung gelangen, die Partei sei „unnormal“? Selbstverständlich gab es Vorstöße des Buhlens, als sich der Bundesvorstand beispielsweise im Vorfeld der Europawahl für einen Moment dem Reiz der Kanalisierung hingab – und nicht etwa zu ihrem Spitzenkandidaten Maximilian Krah stand, sondern voreilig auf die Erpressung von Marine Le Pen einging und sich aufgrund von diskutablen Äußerungen über die einzelne Schuld von Anhängern der SS kurzerhand von ihm lossagte. Den Bruch der Fraktionsgemeinschaft in Brüssel konnte man dennoch nicht verhindern. Trotzdem hat dieser Vorfall offenbar ein Stück weit geläutert, als einziger inhaltlicher Gegner des Einheitsbreis auch dann couragiert zu bleiben, wenn die Versuchung von Macht und Einfluss im Raum steht – dafür aber eine Preisgabe des programmatischen Profils oder Illoyalität gegenüber den eigenen Leuten notwendig wäre. Dass mittlerweile selbst die einst konservativen Akteure wie die CDU zur vollständigen Verwässerung ihrer Ideologie bereit sind, um die Blockbildung mit den sich stets als etwas Besseres deklarierenden Grünsozialisten nicht zu gefährden, sollte den Blauen Mahnung und Warnung genug sein, im Zweifel der Aufgabe und Funktion als tatsächlich kritische Opposition auch dann treu zu bleiben, wenn der Widersacher mit einem vergifteten Angebot lockt. Natürlich muss man im Zweifel für eine Koalition Kompromisse eingehen. Das bedeutet aber nicht, die weltanschauliche Prägung und Haltung um des Abrisses der Brandmauer willen zu offenbaren.
Denn es ist mitnichten so, dass dieses in der Volksherrschaft völlig deplatzierte Konstrukt zur Schmähung und Ächtung des Andersdenkenden in der Peripherie vor Ort weiterhin wie ein Fels in der Brandung steht. Stattdessen gibt es in den Gemeinderäten und Kreistagen, aber auch auf Landesebene, immer wieder punktuelle Zusammenarbeit und Kooperation in einzelnen Sachfragen. Und die Rufe von dort werden lauter, sich endlich von der postinfantilen Distanzeritis zu trennen. Schließlich sollte man doch meinen, dass wir Erwachsene sind, die vernünftig miteinander sprechen können – und sich nicht wie Aussätzige behandeln. Es wird unserer Staatsform auf Dauer nicht gerecht, den Willen von Millionen Bürgern zu missachten, die mit ihrem Kreuz bei einem bis heute nicht verbotenen, sondern vom Souverän wiederkehrend legitimierten Wettbewerber das gleichwertige und ebenbürtige Recht auf Artikulation ihrer politischen Präferenz wahrnehmen. Die Etikettierung durch den Verfassungsschutz als rechtsextremistische Kraft macht die AfD nicht „unnormal“, sondern adelt sie mit dem Prädikat des unbequemen Stachels im Fleisch des Establishments. Und so gibt es überhaupt keinen Grund, sich beim Elfenbeinturm einschmeicheln zu müssen. Stattdessen wird jeder Tag an neuen roten Linien zum Bärendienst, wenn in den Umfragen ein Prozentpunkt nach dem nächsten von Ampel und Union zum unliebsamen Feind wandert. Gescheitert ist allein deren Taktik, nicht aber die Standhaftigkeit der Alternativen. Sie dürfen genüsslich zusehen, wie die im Untergang begriffene Regierung hilflos um sich schlägt – und dabei kostenlose Werbung und PR für Weidel, Chrupalla und Höcke macht.