Kommentar zum Artikel „Regierungsbildung: Union und SPD beginnen Koalitionsverhandlungen“ (aus: „Tagesschau“ vom 14.03.2025)
Es ist in einer Demokratie kein Geheimnis, dass politische Wettbewerber nicht nur von ihrer eigenen Programmatik profitieren, sondern vor allem auch aus der allgemeinen Stimmung und den Fehlern der Gegner. Diesbezüglich könnte die Ausgangslage für die AfD kaum besser sein als im Augenblick. Denn nach der Einigung von Friedrich Merz und Lars Klingbeil mit den Grünen, die vor allem auf den Nenner zu bringen ist, des Steuerzahlers letztes Hemd für Klimaneutralität und Aufrüstung zu veräußern, ist ein Extrembild über die Zukunft an die Wand gemalt, zu dem ein Gegenentwurf ein Leichtes wäre. Doch wird eine in Teilen weiterhin gemäßigte Partei die Gelegenheit tatsächlich nutzen, um nun in Frontalopposition zu gehen und sich nicht länger darauf zu fokussieren, irgendwann einmal anschlussfähig sein zu müssen, um selbst in eine Koalition mit der CDU einsteigen zu können? Es lässt sich in der momentan Situation kein Blumentopf mehr damit gewinnen, in bittstellender Schwammigkeit dem Establishment hinterherzurennen – und aus Scham vor neuer Brandmarkung durch Medien und Öffentlichkeit einer expliziten Klarheit zu entsagen.
Insofern sollte Schluss sein mit dem Schwurbeln über eine „konservativ-libertäre“ Kraft, die das Wörtchen Remigration nur allzu ungern in den Mund nimmt, weil man die Moralkeule der Vielfältigen und das Totschlagargument der Diskriminierung scheut. Wir erleben einen Linksrutsch erster Güte, dem man nicht mit Samthandschuhen begegnen sollte. Sondern einer klaren Ansage, dass die optionale Gestaltung unseres Morgens unter klar rechten Vorzeichen stehen könnte, wenn es denn der Souverän so wünscht. Ein Utopist vermag krampfhaft bemüht zu sein, einer Polarisierung durch Diplomatie und Milde Einhalt zu gebieten. Doch was nutzen Tugend und Moral, wenn die Feinde von Freiheit, Wohlstand, Identität und Zusammenhalt mit brachialem Werkzeug ausgestattet sind – man selbst aber nur mit Wattebällchen zu werfen bereit ist? Es wäre ein Kampf von Anstand gegen Dreistigkeit, von Etikette gegen Skrupellosigkeit. Ein Sieg scheint sodann äußerst unwahrscheinlich. Denn die irdische Realität ist für Idealismus ungeeignet. Und so kann man den Blauen nur empfehlen, sich nicht abschleifen zu lassen von Gängelung und Stigmatisierung der Korrekten.
Die Berliner Bühne ist kein Ponyhof, sondern der Austragungsort von weltanschaulicher Rivalität. Und da kann man es sich nicht leisten, falsche Rücksicht zu nehmen auf Verluste unter denjenigen, die Alice Weidel im Augenblick vielleicht nur aus Protest wählen – und bei erstbester Gelegenheit wieder abspringen, weil ihnen der heimattreue Zug im Gegensatz zum regenbogenfarbenen Schlafwagen doch zu radikal vorkommt. Bekennt man sich dazu, eine Anlaufstelle für Überzeugte zu werden, die sich nicht vom willfährigen Verfassungsschutz oder demonstrierenden Omas beeindrucken lassen, eröffnen sich Chancen für eine strikte Gangart des Stopps illegaler Zuwanderung, einer Rückabwicklung der ökologischen Transformation, der Unabhängigkeit von EU und transatlantischen Partnern, sozialer Sicherheit allein für den autochthonen Bundesbürger, eines Stillstandes für Entwicklungshilfe, konsequenter Schließung unserer Grenzen, des Emanzipierens gegenüber internationalen Konventionen oder der Investitionen in den Wiederaufbau von Meinungspluralismus, Binarität, Vernunft und Plebiszitarismus. Das wäre dann eine tatsächliche Alternative.
Autor: Dennis Riehle