Kommentar von Dennis Riehle
Vor kurzem habe ich mich mit einem Nachbarn unterhalten, der angesichts der aktuellen politischen Lage in Deutschland ebenso wenig an sich halten konnte wie ich selbst. Und weil er mit so vielen seiner Positionen Recht hat, kam ich auch bei seiner Frage in die Bredouille, ob ich es bereuen würde, angesichts der momentanen Entwicklung unserer Medien den Beruf des Journalisten ergriffen zu haben. Meine Antwort fällt zweischneidig aus. Ich selbst sehe ihn weiterhin als meine Leidenschaft, aber werbe für ihn weniger unbelastet als noch vor ein paar Jahren. Und das hängt nicht allein damit zusammen, dass es anstrengend ist, als Presseschaffender einer von vielen Felsen zu sein, der in der liberalen Brandung Stürmen standhalten und Anfeindung über sich ergehen lassen muss. Stattdessen ist es der zu einem System der Anbiederung verkommene Wirkungsbereich, in dem nicht mehr das Hochhalten eines Ethos von Objektivität, Fairness und Sorgfalt honoriert wird, welcher mich an der Integrität unserer Sparte zweifeln lässt. Die größtmögliche Dimension an Willfährigkeit, Tendenziösität und Voreingenommenheit sind viel eher eine Bankrotterklärung. Denn man muss attestieren: Wer in unserer Branche heutzutage Karriere machen will, der sollte zu Hause seine Spiegel abhängen. Schließlich kann man mit gutem Gewissen nicht mehr in sie hineinschauen, wenn es zur Lebensaufgabe wird, in scharwenzelnder Manier die Grünen zu hofieren – und die AfD böswillig zu diskreditieren.
Natürlich ist man als vierte Gewalt zwangsläufig auch in der Situation, Politik entweder mitgestalten, aber sogar auch machen zu können. Doch diesem Reiz muss der Profi widerstehen, weil sich diese Definition des Partizipierens nicht mit dem Aufgabenfeld seines Metiers deckt. Dass man darauf hinweisen muss, offenbart in einer erschreckenden Art, wie oft meine Zunft falsch abgebogen ist. Wer erziehen und bevormunden möchte, der hätte Kindergartenfachkraft oder Lehrkörper werden sollen. In der Publizistik haben solche Bemühungen des Formens und Veränderns von Stimmungen, Überzeugungen und Dafürhalten nichts zu suchen. Denn in der Demokratie gibt es nur eine einzige heilige Kuh. Und das ist der Souverän, vor dem nicht nur Respekt gilt. Seine Urteilsbildung und Meinungsfindung sind ausschließlich seine persönliche und individuelle Angelegenheit, in die wir uns gerade als der Berichterstattung und Kommentierung Verpflichtete nicht einzumischen haben. Uns ist es lediglich anheimgestellt, mit einem Angebot von Informationen und Perspektiven bei der Schärfung des Bewusstseins zu unterstützen. Viele Haltungskollegen haben schon allein deshalb keinen Skrupel mehr, dem Bürger beim betreuten Denken zu helfen, weil es ihnen oftmals schlichtweg an Sittlichkeit und Pflichtgefühl mangelt – aber häufig auch Zwänge eine Rolle spielen, wenn man gerade als die Familie ernährender Elternteil und Freischaffender von einem Vorgesetzten monetär und materiell abhängig ist, der allzu gute Beziehungen in Richtung des Establishments unterhält.
Was ich in meiner Ausbildung noch als Tugend begriff, ist schon längst zur Seltenheit verkommen. Es war nicht nur das philosophische und ehrwürdige Credo, sondern gar der entscheidende Beweggrund, mich überhaupt auf dieses Terrain zu begeben: Ich wollte gegen den Strom schwimmen. Und mich immerwährend als Stachel im Fleisch der Mächtigen verstehen, der ihnen mit Distanz, Skepsis und Kritik begegnet – und die Stimme für das Oppositionelle ergreift. Was heute geschieht, ist weit mehr als bloße Lobhudelei für den Elfenbeinturm. Da wird die Reihenfolge der Meldungen im Zweifel den Wünschen einer Abgeordneten aus dem Regierungslager angepasst. Da befragt man zufällig vorbeikommende Passanten in der Fußgängerzone, die sich nebenberuflich als Volontär in der eigenen Redaktion dafür hergeschenkt haben, genau das in die Kameras und Mikrofone zu posaunen, was dem Intendanten lieb und genehm ist. Da nutzt man die Instrumente der Bild- und Tonschere, des manipulativen Untermalens aus dem Off, des Übertreibens und Verharmlosens, des Weglassens und Hinzuerfindens, des Selektierens von Interviewgästen, des Aussparens oder Anhäufens von bestimmten Themen und Schlagzeilen, des Idealisieren und Stigmatisierens, des Umschmeichelns und Diskreditierens, des höfischen Knicks und der skandalisierenden Falschbehauptung, des Täuschens und Lügens.
Es ist keinesfalls so, dass wir neutral sein müssten. Denn auch wenn wir eine Rolle einnehmen, bleiben wir zumindest in unserem tiefsten Innern noch Menschen mit eigenen Sympathien, wie wir nicht von einer Künstlichen Intelligenz ersetzt werden. Und deshalb dürfen wir nicht nur Präferenzen haben, sondern sie in ausgewählte Formate wie der Kolumne oder den Meinungsbeitrag durchaus einfließen lassen. Doch sobald wir regelmäßig die Grenze zu Propagandismus und Lobbyismus für eine erkennbare Denkrichtung hinter uns lassen – und daneben andere Ideologien und Gesinnungen prinzipiell und per se als verwerflich und anrüchig etikettieren, ist jedes verantwortbare Maß an Assoziierung überschritten. Wer sich als Sprachrohr am Hofe von Scholz, Habeck oder Lindner ansieht, sollte auch dorthin als PR-Berater oder Marketingleiter wechseln – und nicht den Ruf einer ganzen Klientel in den Abgrund ziehen, der man richtigerweise schon immer eine gewisse Linkslastigkeit nachsagte. Dass aber jedweder positive Leumund für ein Segment des zivilgesellschaftlichen Zusammenhalts und der öffentlichen Verständigung auf dem Spiel steht, das in einem volksherrschaftlichen Gefüge eine elementare Funktion und bedeutsamen Stellenwert besitzt, sollten gerade jene nicht hinnehmen, für die Courage und Mut zum Kontrapunkt mehr zählen als Lorbeeren und Applaus aus dem Kanzleramt. Für mich persönlich gilt es, sich weiterhin aus der Deckung zu wagen. Denn eines habe ich mit Luther gemeinsam: Ich stehe hier und kann nicht anders.