Kommentar von Dennis Riehle
Hybris, Arroganz, Übermut – drei Vokabeln, eine Rede. Auf diese kurze Zusammenfassung lässt sich die 30-minütige Erklärung des Kanzlers im Bundestag herunterbrechen, in der er dem Parlament das Einbringen der Vertrauensfrage begründet hat. Olaf Scholz hielt mit seiner Emotionalität trotz implantierter Kühle des Nordens nicht hinter dem Berg. Und so begann seine brachiale Abrechnung mit dem einstigen Koalitionspartner FDP und seinem Vorsitzenden, dessen sittliche Reife er kurzerhand in Frage stellte – und auch ansonsten kein gutes Haar an jenen ließ, mit denen er noch vor ein paar Wochen regelmäßig zu nachtschlafender Stunde in Krisensitzungen versuchte, das Bündnis zu retten. Gescheitert und zerbrochen sei dieses am Ende aufgrund mangelnden Respekts füreinander – und eines fehlenden weltanschaulichen Konsenses darüber, ob die Republik künftig auf Pump leben oder die Abzweigung zur stringenten Einhaltung einer aus realsozialistischer Perspektive völlig überholten Schuldenbremse nehmen solle. Letztgenanntes hätten die Liberalen eingefordert immer häufiger abverlangt. Doch die Probleme, Herausforderungen und Nöte sind nach Auffassung des einstigen Hamburger Ratsherrn zu groß, um gerade bei Investitionen knauserig zu sein.
In ihm kam der klassische Genosse hoch, als er in den Modus des Ringens um Kreuze auf dem Stimmzettel wechselte, um der Öffentlichkeit wieder einmal zu suggerieren, man könne mit der Gießkanne Geschenke an alles und jeden verteilen. Dass man gerade unter seiner Führung in eine Mentalität der milliardenschweren Subventionen, Unterstützungen und Förderungen für eine verkopfte Transformation, geschlechtersensible Projekte in aller Welt und die Fünf-Sterne-Beherbergung von Flüchtlingen übergegangen ist, das erwähnte der 66-Jährige natürlich nicht. Ohnehin mangelte es ihm wieder einmal an jeglicher Selbstreflexion. Fehler sah er bei nahezu jedem im Plenum Anwesenden. Nur sich sparte er in aller Deutlichkeit aus – und brachte im Eigenlob noch einmal die vielen Kräfte zur Sprache, welche er uneigennützig dafür aufbrachte, dieses Land binnen drei Jahren an die Wand gefahren zu haben. Erkenntnis über das Versagen wäre der erste Schritt zur Besserung gewesen. Stattdessen gab es Versprechungen am laufenden Band. Ob nun die Ukraine, die Rentner, der Arbeitslose, Eltern, Pflegekräfte, Wärmepumpe, Elektroauto und Windrad: Sie alle sollen bedacht werden, wenn diese Nation in ihrem vermeintlichen Reichtum Unsummen an Krediten aufnimmt, die der Niedersachse ohne jegliches Wimpernzucken so lapidar in Aussicht stellte, als bleche er dafür aus seiner Tasche.
Ein paar Einsparungen in der Bürokratie, etwas weniger für illegale Einwanderer: Wer ihn noch einmal an die Spitze einer Regierung setzt, der muss mathematische Rechenkunst beweisen, wenn gigantische Mehrausgaben minimalen Kürzungen gegenüberstehen. Zu einem der wichtigsten Themen in diesen Tagen fand das Trojanische Zugpferd aus dem Willy-Brandt-Haus höchstens eineinhalb Sätze. Denn es sei ihm gelungen, die illegale Migration dramatisch zu beschränken – und damit sei jede weitere Debatte wohl obsolet. Was viele Kommunalpolitiker landauf und landab, die unter den wachsenden Belastungen einer Mentalität von Faesers noch immer scheunentormäßig geöffneten Grenzen leiden, nicht bestätigen dürften, stellte sich als eine der vielen Nebelkerzen heraus, mit denen er noch zu retten versuchte, was längst seinen Lauf genommen hatte, um am 23. Februar 2025 vom Souverän bewertet zu werden. Dass man es dem Bürger nicht leicht machen würde, nach dieser historischen Sitzung des Hohen Hauses ein Urteil über die darbietenden Protagonisten zu fällen, das bewies im Anschluss auch Oppositionsführer Friedrich Merz. Als ob es die letzten Tage und Wochen nicht gegeben hätte, schaltete er auf massiven Angriff gegenüber den Grünen – und vermied jede Liebkosung in Richtung Baerbock, Banaszak oder Brantner.
Das wirtschaftliche Konzept von Habeck sei zum Rohrkrepierer geworden. Und weder mit ihm, noch dem SPD-Kandidaten lasse sich ein gesunder Staat machen. Hatte man doch jüngst Töne der Anbiederung und Willfährigkeit vernommen, war der Fraktionschef der Union kaum wiederzuerkennen. Mitnichten sei es im Sinne der Programmatik seiner CDU, die Menschen noch länger im Erwerbsleben zu lassen als ohnehin schon bis 67. Anderslautende Meldungen seien Falschbehauptungen – wohl ähnlich jener Desinformation Putins, die den gesamten Nachmittag als Verschwörungstheorie über den Sesseln von Diäten haschenden Abgeordneten schwebte. Auch mit Blick auf die Kriegstüchtigkeit und eine weiterhin völlig abstrakte und abstruse Erzählung über das Risiko eines russischen Schlages auf NATO-Territorium, welche er zuletzt regelmäßig zu suggerieren schien, um Frieden auf die Friedhöfe zu verbannen, blieb er plötzlich schmallippig. Ein astreines Fähnchen im Wind, das zu einem besseren Umfaller taugt als Wolfgang Kubicki, präsentierte sich dem Publikum von „Phoenix“, das einigermaßen staunend dreingeblickt haben dürfte, wie rhetorisch schwach der Rechtsanwalt dieses Mal aufgestellt war. Denn wer bei diesen wankelmütigen und im Vergleich zu jüngst völlig diametral verschieden lautenden Ausführungen nicht stutzig wurde und die Glaubwürdigkeit des Sauerländers infrage stellte, musste schon einigermaßen naiv an diesen denkwürdigen Moment herangegangen sein.
Denn lediglich der ausschließliche Konsument des ÖRR oder manch ein eingesessener Konservativer, der seit Kindheit an für eine Kraft votiert, die man spätestens seit Angela Merkels Atomausstieg, „Wir schaffen das“ und der Corona-Tyrannei nicht mehr wiedererkennt, durfte ohne Skepsis und Zweifel bei dem bleiben, was der Hüne an Widersprüchlichkeiten von sich gab. Sie waren derart immanent und auffällig, dass man bisweilen Sorge haben musste, dass ihm möglicherweise noch vor Weihnachten die Luft zum Wahlkämpfen ausgehen könnte. Und als ob der Zuhörer nicht schon genug gestraft gewesen wäre, setzte sodann auch Frauenschwarm Robert Habeck zur Märchenstunde an, als er in einer klassischen Täter-Opfer-Umkehr die Schuld für das miserable ökonomische Abschneiden des einstigen Exportweltmeisters nicht etwa der klimafanatischen Energiewende zuschrieb, sondern all jenen, die die Realität verweigerten. Da kam man aus dem unnachgiebigen Kopfschütteln und einer himmelschreienden Verzweiflung kaum noch heraus. Denn es war der Philosoph selbst, der einmal zugab, dass er sich von der Wirklichkeit verfolgt fühle – um nicht nur vor den Bauern in Schüttsiel direkt in den Berliner Elfenbeinturm geflüchtet zu sein. Die Kritik des Auslandes an seiner plangesellschaftlichen Idiotie, die ihren Höhepunkt in Heizungsgesetz und Dunkelflauten findet, vermochte er nachvollziehbar nicht zu hören – und verteidigte viel eher seine auf dem Reißbrett entworfene Vision der CO2-neutralen Zukunft ohne Sinn und Verstand.
Wie wohltuend war es da, mittlerweile in den Umfragen ganz vorne rangieren der Alice Weidel von der AfD einer unwürdigen Veranstaltung doch noch einen respektablen Abschluss verpasste, als sie in Ruhe und Klarheit nicht nur an die Atmosphäre der Einschüchterung erinnerte, mit denen verschiedene Minister die kritische Meinung des kleinen Mannes strafrechtlich zu verfolgen versuchen, sondern einen Strich unter die Legislaturperiode eines geschichtsträchtigen Trios machte, das ab März aus ihrer Sicht ebenso wenig in federführender Verantwortung stehen sollte wie Repräsentanten der Christdemokratie, die den einfachen Leuten nicht weniger Sand in die Augen streut als der restliche linke Einheitsbrei. So ging eine Ära zu Ende, die zu keiner Phase des kaum versiegenden Schmerzes für jeden pragmatischen Beobachter ihrem Namen als hehre Lichtzeichenanlage, den eingeforderten Respekt angesichts des weltmeisterlichen Scheiterns oder jene anerkennende Wertschätzung ob ihres Totalausfalls die Ehre machte, welche sich ein abtretender Heiland ohne Glanz und Erinnerung an das Wesentliche vielleicht noch von den Untertanen gewünscht hatte. Denn von Fortschritt war ebenso wenig zu spüren wie von Zeitenwende, Doppel-Wumms oder Unterhaken. Es blieb ein Herumkrebsen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, was sich ein Miteinander leistete, in dem es wohl jedem Mitglied vor allem um narzisstische Egomanie und den persönlichen Vorteil ging. Eingang in die Annalen wird man finden, denn letztlich bleibt nur zu hoffen, dass dieser böse Traum ein einmaliger Ausrutscher der Geschichte war, dem man nach langem Hinauszögern ein Ende mit Schrecken setzt – von dessen Kollateralschäden wir uns alle aber wohl noch eine ganze Dekade werden erholen müssen.