Kommentar von Dennis Riehle
Wo gehobelt wird, da fallen auch Extreme. Jede politische Strömung hat ihren Exzess, der von vereinzelten Anhängern bis ins Absurde getrieben wird. Davon kann sich kaum eine Bewegung befreien. Ob es nun in Richtung eines ungezügelten Kommunismus, Nationalismus, Libertarismus oder Kapitalismus geht: Wo die eigene Ideologie zur Absolutheit erklärt wird, da besteht tatsächlich die Gefahr für ein demokratisches Gefüge, von einer bestimmten Denkrichtung für weltanschauliche Zwecke missbraucht zu werden. Und so kann ich als Anhänger einer patriotischen und identitären Gesinnung auch nicht alles gutheißen, was letztlich unter dieser Strömung subsumiert wird. Denn da tummeln sich im Zweifel auch fragwürdige Ansichten, von denen ich mich auf das Deutlichste entferne. Beispielhaft hierfür waren für mich Szenen auf der Gegendemonstration zum Christopher Street Day in Bautzen und Leipzig. Es war völlig legitim und nachvollziehbar, sich einer Parade entgegenzustellen, die mit der Forderung nach Gleichstellung, Respekt und Anerkennung nichts mehr zu tun hat. Als Schwulem ist es mir ein großes Anliegen, diesem obszönen, skurrilen und pervertierten Spektakel die Stirn zu bieten. Denn es ist die LGBTIQ-Bewegung, die viele derjenigen Fortschritte zunichtegemacht hat, die in den vergangenen Dekaden in unserer Gesellschaft errungen wurden. Für die meisten Bevölkerungsschichten ist eine privat gelebte, zurückhaltende und gesittete Homosexualität überhaupt kein Problem mehr. Denn im Gegensatz zu den nonbinären Geschlechterlosen, die ständig auf der Suche nach sich selbst sind, ist eine veranlagte Liebespräferenz zwischen zwei Männern oder zwei Frauen eine Schattierung der Schöpfung, die nicht allein auf Gefühlen und Empfindungen beruht.
Der verantwortungsvolle Bürger trägt den Uranismus keinesfalls wie eine Monstranz vor sich her oder bindet ihn der Öffentlichkeit provokativ auf die Nase. Und deshalb ist es überaus schade und enttäuschend, dass sich offenbar am äußerst abseitigen Rand noch immer Vertreter der Überzeugung finden, dass solche Charaktere wie ich allein aufgrund der Tatsache unnormal seien, das Maskulinum zu begehren. Den Widersachern jeglicher Abstufung des Gewöhnlichen geht es dabei wohl kaum um die schlichte Feststellung, wonach eine entsprechende Orientierung unbestritten nicht den Regelfall darstellt. Denn auch ich gestehe selbstverständlich ein, dass ich mit ihr zu einer Minderheit gehöre. Viel eher ist es der Anwurf der Widernatürlichkeit, der sich bei einzelnen Demagogen von den hintersten Sitzplätzen der früheren NPD, ihrer Jugendorganisation, des „Dritten Weges“ oder durch parteilose Fürsprecher von tatsächlich anrüchiger und verwerflicher Agitation mit Bezügen zum Damals bahnbricht. Bei ihnen tummeln sich noch immer Huldigung und Wertschätzung für eine Mentalität, in der das Individuum in verschiedene Klassen einkategorisiert wird. Da es sich bei diesen Gruppen und Personen allerdings um eine derart marginale Zahl von Repräsentanten einer die Epoche des Neonazismus prolongierenden Geisteshaltung handelt, verbietet sich jede Versuchung der Pauschalisierung oder des Rückschlusses auf die gesamte Einheit zwischen Konservativismus und Chauvinismus. Und so darf man diesen in alle Himmelsrichtungen versprenkelten und ohne einheitliche Linie agierenden Zeitgenossen auch nicht allzu viel Aufmerksamkeit einräumen.
Schließlich sind sie wahrlich keine authentischen Vorbilder für einen modernen Reaktionismus, der seine programmatische und argumentative Grenze eindeutig in der Würde des Menschen findet. Wer eine Person allein deshalb schlechterstellt, weil sie voraussichtlich keinen Nachwuchs zur Sicherstellung der Zukunft unserer Spezies beitragen wird – und darüber hinaus nicht das klassische Familienbild einhält, wenn sie eine Verbindung mit ihresgleichen eingeht, dürfte weder den meisten Unterstützern der AfD aus dem Herzen sprechen. Noch hat diese Perspektive etwas mit der Realität zu tun, die wir nun einmal auch außerhalb der Gattung des Homo sapiens finden. Ich bin nicht stolz darauf, dass ich homoerotisch fühlend geboren wurde. Denn diese mir durch die Evolution überlieferte Gegebenheit ist für mich kein Grund, mich als etwas Besseres oder Anderes zu sehen. Stattdessen sehe ich mich als immanenten Teil der Gesellschaft. Schließlich definiere ich mich wahrlich nicht über den Regenbogen. Stattdessen kommt mir nur Schwarz-Rot-Gold ins Haus. Immerhin trage ich ausschließlich das Ehrgefühl gegenüber meiner Heimat in mir, nicht aber hinsichtlich der Bettgeschichten, die sich vielleicht irgendwann einmal im Schlafzimmer abgespielt haben mögen. Ich blicke mit Dankbarkeit auf mein Dasein. Aber nicht aufgrund des Zufalls, dass ich ausgerechnet auf dem hiesigen Boden das Licht der Welt erblickt habe. Sondern weil ich all das würdige, was unsere Vorfahren abseits der dunkelsten Kapitel in der Geschichte an Positivem, Erfolgreichem und Bewährtem hervorgebracht haben. Weil ich froh bin über unsere Gemeinschaft, die sich im Zweifel auf Solidarität und Zusammenhalt verlassen kann.
Weil ich mich in unserer Sprache, in den Traditionen, den Brauchtümern, den Normen und Sitten, den Werten und Ordnungen, den Prinzipien und Regeln, dem vorherrschenden Glauben und des Systems der Volksherrschaft, den wirtschaftlichen, künstlerischen und einfallsreichen Errungenschaften, Ideen und Werken, unserer Willenskraft und unserer Widerstandsfähigkeit gegen manche zeitgeistigen Stürme verbunden fühle. Ich hege auch keine prinzipielle Abneigung gegenüber dem Fremden allein aufgrund der Herkunft oder einer kulturellen Zugehörigkeit. Stattdessen sehe ich die Grenzen von Migration und Transformation, die Kollateralschäden einer sukzessiven Verdrängung unserer Ethnie sowie die Erosion unseres Miteinanders angesichts der zunehmenden Vormachtstellung einer Religion, die nicht auf Vielfalt und Toleranz ausgerichtet ist. Mit diesen Standpunkten dürfte ich mich allerdings genau dort wiederfinden, wo Theoretiker heutzutage das sogenannte „Neurechte“ verorten. Und ich bin mir sicher, dass die Aktualität einem solchen Pragmatismus noch sehr viel mehr Zulauf bescheren wird. Da kann der Verfassungsschutz noch so oft abstempeln und etikettieren. Wer heute als „Faschist“ bezeichnet wird, weil er Positionen einnimmt, die noch vor kurzem als mittig galten, dem wird eine Adelung zuteil. Und nein, wir sollten uns untereinander nicht spalten lassen oder gar dem infantilen Instrument der Brandmauer verfallen. Deshalb halte ich es auch für notwendig, dass wir die Unterschiede zu jenen verdeutlichen, die weiterhin in ihrem Milieu der 90er-Jahre verhaftet sind – und es neuerdings oder immer noch für notwendig halten, sich durch konfrontative Merkmale wie die Glatze oder den Springerstiefel in der Retrospektive martialisch und Ressentiments bedienend festzubeißen. Da braucht es keine Distanzeritis, sondern lediglich den sanftmütigen Hinweis, dass sich auch der Plakativismus überdauert.