Kommentar von Dennis Riehle
Schamlosigkeit und Dreistigkeit sind eigentlich keine Bagatellen. Und doch begegnen wir ihnen in der Gegenwart fast schon selbstverständlich. Denn Zurückhaltung und Angemessenheit sind heutzutage keine Tugenden mehr. Stattdessen lehnt man sich auch dann weit aus dem Fenster, wenn man ein politisches Amt innehat, welches eigentlich zu Überparteilichkeit anhält. Und so ist es als einigermaßen unverfroren zu betrachten, dass sich gerade Spitzenfunktionäre über sämtliche Gepflogenheiten hinwegsetzen – und, wie aktuell Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, vollkommen vergessen, dass sie in ihrer Rolle allen Akteuren gegenüber neutral und fair auftreten sollten. Da hat es sich die zumindest dritthöchste Politikerin im Staat nicht nehmen lassen, in ihrer jüngsten Einlassung einerseits dazu zu ermutigen, mit einem etwaigen Antrag auf Verbot der AfD noch bis zum Jahresende zu warten. Andererseits sieht sie es als völlig legitimes Mittel an, diesen Stein zur Untersagung der kritischen Opposition ins Rollen zu bringen – und als schärfstes Schwert in der Demokratie ziemlich arglos zu schwingen.
Auch sie setzt dabei wieder einmal auf die altbekannte Argumentation, man müsse die Volksherrschaft vor der Alternative für Deutschland schützen, wenn eine willfährige und weisungsgebundene Behörde wie der Verfassungsschutz zu der Auffassung gelangt, dass es sich bei Weidel und Chrupalla nicht nur um Vertreter einer rechtsextremistischen Kraft handelt, sondern um die Speerspitze eines gegen die Prinzipien der liberalen Grundordnung kämpferisch und aggressiv agierenden Wettbewerbers. Denn genau diese Voraussetzungen müssten erfüllt werden, damit Karlsruhe überhaupt in die Nähe eines Dekrets gelangen kann. Nicht nur viele Medien tun so, als sei es ein ganz normaler Vorgang, hopplahopp den ärgsten Widersacher mundtot zu machen. Da ist es auch die SPD-Frau, die bereits bei der Einsetzung des Bürgerrates ein recht krudes Verständnis über den Parlamentarismus offenlegte, welcher es offenbar nahezu am Herzen liegt, dass die blaue Fraktion aus dem Plenum getilgt wird. Sie schielt auf das Votum von Haldenwang, dessen verlängerter Arm in Niedersachsen zuletzt unverhohlen bekannte, selbst „Antifa“ zu sein.
Und so schließt sich in der Gesamtschau der Kreis, wenn sie im Hohen Haus nahezu inflationär von Ordnungsrufen Gebrauch macht, um jene sukzessive zu gängeln, die ihr allein aus ideologischer Betrachtung und individueller Antipathie heraus ein Dorn im Auge sind. Nein, sie kann keinen Anspruch auf Unabhängigkeit mehr erheben, wenn sie ohne konkludentes Fundament unterstellt, der Gegner verstoße gegen Werte des freiheitlichen Miteinanders. Schon heute ist klar, womit man einen Anlauf bei den roten Roben begründen möchte. Da ist es sowohl die mittlerweile sogar vom Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg als Falschbehauptung deklarierte Märchenerzählung, es habe bei einem Geheimtreffen in Potsdam die Vereinbarung über das zwangsweise Rückführen von Millionen Bundesbürgern mit Migrationshintergrund gegeben. Aber auch die lügnerische Interpretation der Szenerie während der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landestags, die sich anhand zahlreicher Hinweise als ein geplantes Schmierentheater vor allem der CDU enttarnen lässt, das im Anschluss seinen Segen aus Weimar bekam.
Neben dem Heranziehen einer ganzen Sammlung von Zitaten bestimmter Charaktere und Funktionäre der AfD, die zur Verallgemeinerung taugen sollen, dass sich die Partei in ihrer Gänze unter anderem gegen Art. 1 GG wendet, weil man die konsequente Ausweisung von abgelehnten Asylbewerbern, Flüchtlingen ohne Aufenthaltsstatus, kriminell und gewalttätig gewordenen Schutzsuchenden oder die Identität verschleiernden, illegal über die Grenze auf unser Territorium vorgedrungenen Einwanderern fordert, sind es lediglich Indizien, die zu einer ziemlich konsistenzlosen Kette an schlichten Mutmaßungen aneinandergereiht werden. Mit ihnen lässt sich in einem Rechtsstaat normalerweise kein Blumentopf gewinnen. Denn solange es an belastbaren Belegen dafür fehlt, dass die Alternative für Deutschland einen im Zweifel auch unfriedlichen Umsturz der repräsentativen Verhältnisse anstrebt, fehlt es an stringenten und plausiblen Erwägungen, die das Auflösen eines an manchen Orten weit über 30 Prozent der Wähler für sich gewinnenden Feindes legitimieren und überhaupt sachgerecht erscheinen lassen würden.
Natürlich kann man angesichts der vielen an den Zeitgeist und die Toleranz anbiedernden Urteile, die derzeit beispielsweise gegenüber Messermördern gesprochen werden, das Vertrauen in die Justiz verlieren. Bislang muss man aber vor allem dem zweiten Senat am BVerfG in seinen Entscheidungen zugestehen, dass er gerade mit Blick auf die Ampel deutlich wird – und kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um eine reflektierte und differenzierte Verkündung nicht genehmer Beschlüsse geht. Daher gibt es Grund zur Zuversicht, dass sich das gesamte Gebaren nicht so unkompliziert abhandeln lässt, wie sich das auch die Sozialdemokratin auf dem Präsidentenpult im Reichstag vorstellt. Schon allein ihretwegen wäre es eine Genugtuung, würde dem herrschenden Kartell seine Leichtfertigkeit um die Ohren fliegen. Denn gerade die Guten und Besseren untermauern mittlerweile täglich, dass sie schlichtweg überfordert sind mit der inhaltlichen Auseinandersetzung, die AfD, ihre Programmatik, Konzepte und Lösungsvorschläge zu stellen. Ihnen mangelt es an Futter für ihre Kanonen, mit denen sie auf Spatzen schießen.
Solange die ehrliche Debatte über Remigration, Transformation und Rezession verweigert wird, wäre es eine Bankrotterklärung und das endgültige Aus für unsere Staatsform, würde man den Weg des geringsten Widerstandes gehen – und die Zerschlagung des einzig stabilen Gegenparts zu den Mächtigen ermöglichen. Denn solch ein feiges und plumpes Manöver hat nur dort Platz, wo man sich – im Scheitern begriffen – nicht mit milderen Mitteln zu helfen weiß. Zwar sind wir schnurstracks in Richtung Totalitarismus unterwegs. Allerdings sollten wir mühsam errungene Standards nicht um der prinzipiellen Lethargie und Frustration willen preisgeben. Und so bleibt letztendlich abzuwarten, ob die Richter ähnlich hohe Hürden ansetzen werden wie beim letzten Manöver dieser Art, als man die NPD zum Teufel jagen wollte. Es wäre zumindest dem Gleichheitsgedanken zuträglich, sich nicht dem Trend zur voreiligen Stigmatisierung anzuschließen. Immerhin dürften die sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen enorm sein, erklärte man kurzerhand ein Fünftel der Deutschen zu Personae non gratae. Und gerade diese Folge sollte beim Erörtern nicht außer Acht gelassen werden.