Kommentar von Dennis Riehle
Wir kennen das alle vom Bahnhof, an der Einkaufskasse oder beim Arzt: Ungeduldig stehen oder sitzen wir dort – und hoffen, dass es endlich weitergeht. Rund 374 Tage seines Lebens verbringt der Mensch mit Warten. Für viele von uns erscheint das verschenkte Zeit, in der wir eigentlich etwas Besseres hätten anstellen können. Und so spekulieren wir auch jedes Jahr im Advent, warum man unbedingt diesen Vorlauf braucht, ehe dann der Heilige Abend kurzerhand vor der Türe steht – und wir in die Feiertage übergehen. Dem Wortursprung nach, bereiten wir uns in diesen Wochen auf die Ankunft vor. Während es auf Gleis 1 der Zug ist, in den wir einsteigen möchten, wissen zumindest einige auch beim Christfest dem Namen nach, was da auf uns zugelangt. Gerade in einer Dekade einer weiteren Säkularisierung und einer nachlassenden Bindung zu Institutionen des Protestantismus und Katholizismus sind wir angehalten, unsere Identität nicht vollends preiszugeben.
Es scheint augenblicklich notwendiger denn je, unsere hiesigen Ursprünge, die religiösen Wurzeln und das kulturelle Erbe zu erhalten und vor manch einem Angriff der falsch verstandenen Toleranz oder der politischen Korrektheit in Schutz zu nehmen. Denn unter dem Einfluss, gerade auch des Islams, gewinnen europäische Prägungen und Brauchtümer wieder an Bedeutung. Und wie wir uns nicht von der Moralkeule beeindrucken lassen sollten, wenn die Forderungen aufkeimen, aus einem Weihnachtsmarkt ein Lichterfest zu machen, so dürfen wir uns aktuell darauf fokussieren, die Bedeutung manch eines turnusgemäßen Ereignisses in unsere Wahrnehmung zu rücken. Eine Frau könnte das sicher besser bestätigen als ich, aber gerade die letzten Wochen vor der Geburt eines Kindes bringen durchaus ihre Überraschungen mit sich. Zwar vermag man dank der Routine von Hebammen und Ärzten vieles zu planen. Aber doch nicht alles ist am Ende kalkulierbar.
Da werden alltägliche Dinge, die zuvor Präsenz in unseren Köpfen abverlangten, schnell zur Nebensache, wenn man seine gesamte Aufmerksamkeit darauf ausrichten muss, jederzeit mit einer Niederkunft zu rechnen. Und so ist es mein Lieblingsdichter Paul Gerhardt, der in einem seiner Kirchenlieder die zentrale Frage stellt: „Wie soll ich dich empfangen und wie begegn ich dir?“. Wenn wir eine Familie gründen und der Nachwuchs in Sichtweite ist, dann kennen wir diese Auseinandersetzung. Denn jeder verantwortungsvolle Vater und alle fürsorgenden Mütter wollen die besten Bedingungen schaffen, damit unsere Kleinsten wohlbehütet auf dieser Welt eintreffen. Und löst man sich allein aus dem spirituellen Sinn dieses größten Geschenkes, was uns die Schöpfung machen kann, so ist auch für diejenigen, die nicht an Jesus glauben oder Single bleiben möchten, in diesen Stunden eine Botschaft dabei. Man könnte sie vielleicht mit dem zur Reflexion anregenden Impuls übersetzen: Was benötigen wir, um wieder Freude in unserem Dasein zu empfinden?
Denn es sind die vielen Krisen, Kriege und Katastrophen auf dem gesamten Erdball – und nicht zuletzt eine Menge an Missständen, Problemen und Schwierigkeiten in unserem eigenen Land, die momentan überhaupt keinem Funken Hoffnung Platz machen. Es geht also darum, bis zum 24. Dezember Raum in unseren Herzen zu schaffen, damit das Licht vom Stern über Bethlehem Einzug halten kann. Oder ganz praktisch formuliert: Auch wenn es schwerfallen mag, schenken wir uns immer wieder ein paar Minuten an Abstand und Distanz von dem Beschwerlichen. Und setzen wir Vertrauen in das scheinbar Unmögliche. Denn wir erfahren aus der Geschichte, dass die Gemeinschaft etwas wenden, etwas verändern und etwas umkehren kann. Ob nun mit oder ohne göttliche Hilfe, so besagt der von mir benannte Theologe in seinen Versen aus dem Evangelischen Gesangbuch (Nr. 11) doch nur allzu treffend: „Er kommt, er kommt mit Willen, ist voller Lieb und Lust, all Angst und Not zu stillen, die ihm an euch bewusst“. Ich wünsche euch einen gesegneten Sonntag.