Kommentar zum Artikel „Correctiv-Journalist über das Potsdamer Geheim-Treffen“ (aus: „Kölnische Rundschau“ vom 09.04.2025)
Betrachtet man dieser Tage noch einmal die Berichterstattung über das vermeintliche „Geheimtreffen“, so zeigt sich völlig abseits einer unerträglichen Instrumentalisierung dieses eigentlich wenig bedeutsamen Ereignisses zu politischen, medialen und die Öffentlichkeit aufstachelnden, polarisierenden und aufwiegelnden Zwecken ein in der jüngeren Geschichte bisher kaum dagewesenes mediales Überschreiten geltender Regelungen und Grenzen. Als Journalist bin ich einigermaßen schockiert – wenngleich nicht mehr unbedingt überrascht -, über das berufsethische Gebaren jener Mistkratzer, die dreist, schamlos und ungeniert Grundsätze über den Haufen werfen. Ihnen ist ohne Not egal, was sie einst vielleicht gelernt haben. Schließlich beginnt der Missbrauch der vierten Gewalt mittlerweile nicht nur bei den „Öffentlich-Rechtlichen“, sondern auch die privaten Sender sonnen sich in der Missachtung gängiger Prinzipien und Regeln hehren Schaffens. Immerhin kaufen ihnen noch immer viele Konsumenten die Demagogie ab.
Dabei ist das Übergehen des Maßstabs grundsätzlich wahrhaftiger Darstellung aus Ziffer 2 des Pressekodexes nur die Spitze des Eisbergs. Zum Auftrag gehört es demnach einerseits, dass gelieferte Informationen insbesondere dann nochmals auf ihre Plausibilität, Konsistenz und Ursprung eigenständig überprüft werden müssen, die von einem einzelnen Recherchezentrum stammen. Die Quellenkritik ist gerade dann angezeigt, wenn man mit Darstellungen versorgt wird, die von einer in der Vergangenheit immer wieder durch Abhängigkeit zu Parteien und von Fördergeldern einzelner Behörden, Organisationen und Institutionen aufgefallen sind – und darüber hinaus wiederholt in juristische Streitigkeiten wegen der Qualität, Echtheit und Authentizität ihrer Arbeit verwickelt waren. Correctiv also ungefragt, unkritisch und distanzlos zu seriösen und glaubhaften Investigativutopisten zu erklären, ist aus unterschiedlichen Erwägungen weit mehr als nur fahrlässig und naiv.
Schließlich hätte jedem Kollegen das dargebotene Material bei ein wenig gesundem Menschenverstand und für Medienschaffende eigentlich notwendiger Skepsis aufhorchen lassen müssen. Deshalb scheint das willfährige Kopieren von Lügen der etablierten Methode „Solidarität gegen das Böse“ zu entsprechen. Spätestens, als sich Teilnehmer der Veranstaltung eindeutig von den vorgebrachten Inhalten der dokumentierten Gespräche distanziert und ihnen widersprochen haben, stand Aussage gegen Aussage. Das Prinzip der Unschuldsvermutung gilt auch dann. Man hätte also eindrücklich deren Gegendarstellung nachliefern und diese ebenso ausführlich, gleichwertig und transparent abbilden müssen. Denn nur dann kann Fairness hergestellt werden, die zu einem elementaren Wert von Demokratie und anspruchsvoller Publizistik gehört. Es liegt aber möglicherweise auch ein Verstoß gegen Ziffer 1 Pressekodex vor, der neben der Präambel als Garant für Integrität und Authentizität von pflichtbewusstem Schreiben und Kommentieren gilt.
In einer bisher für mich kaum gekannten rhetorischen Eskalation, einer Zuspitzung und einer Geschichtsrevision von Sprache und Tatsachen wurde plötzlich aus einer anfangs noch als Remigration bezeichneten Idee die „Deportation von Millionen Bürgern“. Statt Rückführung von Personen, denen in Deutschland Asyl rechtskräftig verweigert wurde oder die keinen Anspruch mehr auf Aufenthalt haben, stellte man eine im Indikativ formulierte und in mehreren Medien wiederholte Aussage auf, die mittlerweile sogar von Gerichten als schlichte Falschbehauptung entlarvt wurde. Dass hier mit weit über die im Zuge einer Berichterstattung zulässigen Kommentierung hinausgehender Subjektivierung, Bewertung und Interpretation ein Sachgehalt unterstellt wurde, der mit der Ursprungsformulierung nichts mehr zu tun hat, widerspricht jedem Anspruch an Sorgfalt. Es verstößt gegen die Würde und Integrität der Anwesenden bei genanntem Treffen, sie offensichtlich und bewusst in diskreditierender Weise einer nie stattgefundene Absprache zu beschuldigen.
Die daraus in der Öffentlichkeit entstehende Debatte, die emotional, moralisch und politisch aufgeladen zu falschen Konklusionen führte und hunderttausende Empörte auf die Straßen trieb, war verleumderisch. Allein die Betitelung als „Wannsee-Konferenz“ sollte mit Absicht und in dem Wissen um die schlichte Mär eine historische Parallele eröffnen, welche suggeriert, man habe sich in der Manier der damaligen Massenmörder auf eine erneute Rassifizierung in diesem Land vorbereitet. Solch eine hetzerische Ableitung, arglistige Verzerrung und offenkundige Idiotie ist unsäglich, denn die Zeugen haben allesamt zurückgewiesen, dass über eine in der Verfassung als legitim und gar notwendig dargestellte Praxis der Abschiebung von Menschen, die ihren Anspruch auf Schutz in der Bundesrepublik verwirkt haben, hinausgehende Rückführung gar von Personen mit hiesigem Pass und Migrationshintergrund debattiert wurde. Insofern wurde auch dem rechtsstaatlichen Anspruch auf Gehör für alle Beteiligten nicht Genüge getan, was die Verwerflichkeit und Schuld arg erhöht.
Der dritte Verstoß liegt sicherlich mit Blick auf Ziffer 4 Pressekodex vor. Demnach sind wir dazu verpflichtet, nur jene Informationen zu verwenden, die auf legalem Wege erworben wurden – und explizit nicht durch das Eindringen in die Privatsphäre. Doch hiervon muss zwangsläufig ausgegangen werden, da sich offenbar keiner der Beteiligten dazu bekannt hat, etwas aus den vertraulichen Beratungen an die Öffentlichkeit weitergetragen zu haben. Völlig abgesehen davon, dass es sich um eine Zusammenkunft von Funktionären aus der zweiten und dritten Reihe der AfD, der WerteUnion, der Identitären und der Wirtschaft gehandelt hat, die überhaupt nicht befugt oder in der Position sind, irgendeinen maßgeblichen Einfluss auf die derzeitige Politik nehmen zu können, wurde bislang die Brisanz dieser vermeintlichen Schlagzeile weder begründet noch belegt. Und dieses ungehobelte Verständnis von Propaganda macht auch deshalb immer öfter Schule, fließen doch ungeachtet davon Rundfunkgebühren und Förderung.
Wenn wir in einen Modus übergehen, dass in Hinterzimmern geführte Diskussionen keinen Schutz mehr vor dem Zugriff von selbsternannten Aufklärungsjournalisten genießen, nimmt die Macht der Presse ein für die Grund- und Persönlichkeitsrechte des Einzelnen höchst gefährliches Ausmaß an, das in keiner Weise verhältnismäßig ist oder mit der Bedeutung des Gesprochenen gerechtfertigt werden kann. Zusammenfassend liegt für mich also ein massives Verletzen berufsethischer Vereinbarungen vor, die dazu geeignet sind, das Ansehen der Medien weiter in ernsthaften Misskredit zu ziehen. Nicht das eigentliche Treffen ist eine Story wert, sondern der Skandal um die völlige Zügellosigkeit einer gutmenschlichen Agitation, welche die Ehre und den Leumund einer Branche mit Leichtigkeit und Zwanglosigkeit in den Schmutz zieht. Man kann sich in Verantwortung und Achtung vor sich selbst nur fremdschämen und distanzieren von Kollegen, deren morgendlicher Spiegel nicht nur einen Sprung zu haben scheint, sondern im Badezimmer gänzlich fehlt.
Autor: Dennis Riehle