Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Erste Prognose: Union siegt, AfD klar auf Platz zwei“ (aus „Freilich Magazin“ vom 23.02.2025)
Deutschland hat gewählt – und der Souverän zu einem bemerkenswert eindeutigen Ergebnis gefunden. Denn auch wenn die Koalitionsfrage im Augenblick noch an einer ziemlich bedeutungslosen Partei wie dem BSW hängt, lässt sich bei einer nüchternen Betrachtung der Zahlen vor allem ein klarer Trend ausmachen: Wie die Stimmung in unserer Gesellschaft insgesamt von einer großen Spaltung getragen ist, so haben bei diesem Urnengang besonders die politischen Pole profitiert. Haushoher Gewinner ist auf der einen Seite die AfD, die ihr Resultat von 2021 verdoppeln konnte. Fast ähnlich erging es aber auch der Linken. Zwar in einer anderen Dimension, proportional aber ein Erfolg, den trotz gleichlautender Umfragen der letzten Wochen niemand für möglich gehalten hatte. Bitter gekommen ist es für die FDP, die nach derzeitigem Anschein sicher aus dem Parlament fliegt. Die CDU hat zwar deutlich mehr Stimmen erringen können, bleibt hinter ihren eigenen Erwartungen aber doch ein Stück weit zurück. Weitgehend auf der Stelle treten die Grünen, die von den einstigen Bündnispartnern der Ampel allerdings am besten aus der Misere der zerbrochenen Allianz hervorgehen.
Dass nun Sahra Wagenknecht das Zünglein an der Waage sein dürfte (gemäß Stand der Auszählung vom 24.02.2025, 01.30 Uhr), wenn es um die Frage geht, ob Deutschland wieder ein Miteinander aus drei Kräften benötigt, um regiert werden zu können, stellt eine klassische Absurdität des Parlamentarismus dar. Sofern ihr der Sprung in die Abgeordnetenkammer gelingen sollte, werden die Christdemokraten sowohl mit Robert Habeck wie auch Olaf Scholz sprechen müssen – beziehungsweise denjenigen Verhandlungsführern, die ihnen gegebenenfalls nachfolgen. Momentan schwankend zwischen 4,9 und 5 Prozent, entscheidet also die abgesplitterte Bewegung, ob es im Zweifel für eine Mehrheit aus Union und Sozen reicht. Oder ob im Bundestag schon bald Kenia zu Gast ist. Denn die offensichtlich von den Menschen präferierte Kooperation aus Schwarz und Blau wird es aus ideologischen Gründen der Brandmauer nicht geben. Daher droht ein klassisches „Weiter so“, womit man nicht zuletzt auch deshalb rechnen musste, weil Friedrich Merz Sand in die Augen der Gutgläubigen streute, die nur jene Aussagen von ihm wahrnahmen, welche er im Angriffsmodus auf die progressiven Gegner abwarf. Als klassischer Umfaller interessiert ihn das Geschwätz von gestern dann jedoch nicht mehr.
Er hat es im Gegensatz zum derzeitigen Kanzler zwar nicht vergessen, was er mit Blick auf einen Kurswechsel ankündigte. Doch er fühlt sich dann nicht mehr daran gebunden, wenn die Macht am Horizont erscheint – und von ihm Flexibilität abverlangt. Wie es um das Versprechen von Markus Söder steht, auf keinen Fall mit Annalena Baerbock eine weltanschauliche Liaison einzugehen, wird sich dann abklopfen lassen, wenn zum Farbenspiel Afghanistans keine andere Option besteht. Es liegen unsichere Jahre vor uns, weil die Tragfähigkeit der im Raum stehenden Gefüge letztlich auf Minimalkompromissen fußt. Ein echter Mentalitätswechsel sieht anders aus, viele Chancen blieben neuerlich ungenutzt. Die Alternative für Deutschland konnte nur bedingt von den aufkeimenden Debatten über Migration und Rezession punkten. Vielfältig sind dagegen die Gründe, weshalb ihr gerade von Heidi Reichinnek Unterstützer abgeworben wurden. Der Schlafwagenmodus lethargischer Mitteleuropäer ist unübersehbar, ein echter Rechtsruck konnte uns nur zaghaft erfassen. Und so wurden viele Vorurteile und Ressentiments über dieses Volk bestätigt, das nicht einmal dann aufwacht, wenn die Einschläge auf den Straßen, im Geldbeutel oder bei der Meinungsfreiheit immer näher kommen.
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