Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Deutsche Islampolitik: Liberale Muslime sind frustriert“ (aus: „taz“ vom 16.02.2025)
Ich war vor vielen Jahren selbst in Talksendungen zu Gast und kann mich gut erinnern, wie man damals die Gäste, welche man sich in das Studio einlud, im Vorfeld umfänglich abklopfte – um sich sicher sein zu können, dass man im Zweifel keine bösen Überraschungen erlebt. Inwieweit man diese Praxis mittlerweile geändert hat, vermag ich nicht einzuschätzen. Doch man könnte der Redaktion von „hart aber fair“ durchaus unterstellen, dass man gewusst hat, wen man sich in die Runde holt. Und so war es einer der großen Fernsehskandale der jüngeren Vergangenheit, der sich nicht nur dem Zuseher nahezu mit bestechender Ansage offenbarte, als das Mitglied des Hessischen Rundfunkrates – die Publizistin Khola Maryam Hübsch – über die völlige Selbstverständlichkeit von Gottesstaatlichkeit und religiöser Ordnung schwadronierte. Auch die anwesenden Gesprächspartner und der stets unvorbereitet wirkende Lebensabschnittsbegleiter von Luisa Neubauer wunderten sich nicht schlecht über die Aussagen einer nicht unumstrittenen Person, die nämlich selbst der Ahmadiyya-Gemeinde angehört, die von großen Teilen des Islam schon deshalb nicht anerkannt wird, weil sie sich neben den Rechtsquellen des Koran, Sunna und Hadith auch den Verlautbarungen ihres Begründers Mirza Ghulam Ahmad verschreibt, der sich wiederum als der einzig wahre Erlöser betrachtet.
Und so war es eine Häretikerin, die all die Empörung überhaupt nicht verstehen konnte, welche angesichts der Demonstration von Fanatikern der durch den Verfassungsschutz beobachteten Organisation „Muslim Interaktiv“ in Hamburg aufkam. Denn nach Auffassung der immer wieder in Debatten zu Wort kommenden Journalistin handelt es sich bei den für Aufsehen erregenden Vokabeln der Scharia oder des Kalifats um völlig unanstößige Tautologien, die in der arabischen Welt an der Tagesordnung seien. Doch es ist eben dieser feine Unterschied, dass wir zumindest bislang noch immer im christlichen Abendland leben – wenngleich man beim Blick auf einige Innenstädte der Bundesrepublik durchaus zu einer anderen Einschätzung kommen könnte. Ihr penetranter Versuch zur Verharmlosung und Beschönigung einer politisierten Religion, für die sie eben nicht repräsentativ steht, wurde mit einigermaßen viel Entsetzen aufgenommen. Denn die Normalisierung von Kampfbegriffen war bisher in der leitmedialen Auseinandersetzung über die Folgen einer ungezügelten Migration kaum Thema gewesen.
Und dies nicht zuletzt deshalb, weil sich Thomas Haldenwang vornehmlich um Kritiker der aktuellen Regierung kümmerte, als diejenigen intensiver überwachen zu lassen, die unverhohlen einen Übergang unserer kulturellen Identität in eine neue Wesenseinheit beabsichtigen – und dafür im Zweifel auch mit Messern und Macheten kämpfen. Denn von Friedseligkeit kann keine Rede sein, auch wenn der Protestzug durch die Hansestadt einigermaßen ruhig verlief. Immerhin fehlt es dem Koran an einer Relativierung – wie sie beispielsweise in der Bibel das Evangelium darstellt, das so manche alttestamentarische Brutalität und Rachsucht entkräftet. Überdies durchlebte die bei uns vorherrschende Spiritualität des Gesalbten eine Säkularisierung, welche in weiten Teilen des Islam schon aus Prinzip nicht geschehen kann und wird. Denn er ist eben nicht an einem Miteinander oder Nebeneinander interessiert, sondern besagt bereits in seiner Übersetzung, welches Ziel er verfolgt: Unterwerfung gegenüber dem alleinigen Herrscher Allah.
Dass es in einer Theokratie nur allzu alltäglich ist, auf Sittenwächter statt auf Richter zu hören – und bedarfsweise Peitschenhiebe oder das Abhacken der ein oder anderen Gliedmaße einer Geld- oder Gefängnisstrafe vorzieht, mag in denjenigen Systemen auf Applaus stoßen, deren Bürger in der Auffassung der Richtigkeit dieser Mentalität sozialisiert wurden. Doch genauso, wie man die Aussagen des Generalsekretärs des Zentralrats der Muslime über die Kompatibilität der mohammedanischen Rechtslehre mit unserer demokratischen Gewaltenteilung in einem aktuellen Interview für hanebüchenen Euphemismus abtun muss, entpuppen sich natürlich auch alle Bemühungen der Bloggerin als Augenwischerei – die sich nach eigenen Angaben zwar für Interreligiösen Dialog einsetzt, für dieses hehre Ansinnen aber keinen Rückhalt unter denjenigen hat, die sich an die Verse ihrer Heiligen Schrift gebunden fühlen. Denn die Fundamentaltheologie beruft sich beispielsweise auf Sure 22,62: „Denn Gott ist die Wahrheit, und das, was sie anrufen statt Gott, ist Nichtiges nur“. Damit ist die Unbedingtheit beschrieben, von der es sich in einem Umfeld nicht abweichen lässt, das sich der Verweltlichung verschließt.