Kommentar von Dennis Riehle
Julia Ruhs hat sich einen Namen gemacht, weil sie es als eine der wenigen Schreiberlinge geschafft hatte, einerseits für die Leitmedien aktiv zu sein – sich aber andererseits stets nicht mit Tadel am Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk zurückzunehmen. Deshalb verwundert es nun, dass sie in diesem Jahr mit einer Kolumne auf sich aufmerksam machte, in der sie doch einigermaßen undifferenziert vielen Gegnern der Pflichtgebühren schlichtweg Pöbelei vorwirft – weil diese sich doch tatsächlich erdreisten, der Praxis mancher Intendanten und ihrer Untergebenen auch weiterhin nicht mit Samthandschuhen zu begegnen. Nein, werte Frau Kollegin, es ist eben keinesfalls mehr damit getan, zaghaft an einzelnen Stellschrauben drehen zu wollen. Denn das gesamte Gefüge krankt mittlerweile von Kopf bis Fuß.
Es ist bedauerlich, dass Sie sich mit ihren Einlassungen im „Focus“ viel von dem Ruf und der Anerkennung zunichtemachen, die Ihnen zu Recht zuteilgeworden waren, als Sie selbst die Stimme lautstark für massive Veränderungen an der heutzutage nicht mehr grundlos als System bezeichneten Einheitsjournaille erhoben. Nun scheint sie plötzlich deutlicher leiser als zuvor – und die couragierte Kommentatorin fällt zurück in ein typisches Abwehrverhalten und die prinzipielle Verteidigung eines informationsmonopolistischen Kartells, in dessen Schuld nicht wenige Mitglieder meiner Zunft schon allein in monetärer Hinsicht stehen. Und natürlich dürfen wir uns darüber aufregen, dass mit unseren Geldern finanzierte Öffentlichkeitsarbeit in nahezu jeder Ausgabe von „Tagesschau“ oder „heute“ die Publizistischen Grundsätze mit Füßen tritt.
Es ist mitnichten ein Problem einiger Schriftleiter, sondern ein schematisches Versagen jedweder ethischen Mechanismen, die eigentlich dazu anhalten sollten, den Beruf in seiner Ursprünglichkeit ernst zu nehmen – und sich generell der Skepsis, Distanz und Kritik an der herrschenden Klasse und des Zeitgeistes als Tugenden eines Jobs zu besinnen, den man eben nicht mit dem des Pressesprechers der Regierung verwechseln sollte. Und es wäre deutlich zu kurz gegriffen, wenn man als Beispiel die Passanten in der Fußgängerzone erwähnt, die bei der Einholung eines O-Tons stets das in die Kamera sagen, was sich der Reporter zuvor als wünschenswerte Antwort für seinen Beitrag zurechtgelegt hat. Schließlich fällt es natürlich immer erst hinterher auf, dass der Befragte zufällig Schatzmeister im SPD-Ortsverband, Vollzeitaktivist bei der „Letzten Generation“ oder Volontär im eigenen Hause ist.
Da geht es auch um den Anruf einer Abgeordneten beim Chefredakteur, die sich darüber empört, dass die Bauernproteste in der Berichterstattung des einstigen Flaggschiffs unter den deutschen Nachrichtensendungen deutlich mehr Aufmerksamkeit bekamen als die Demonstrationen gegen Nazis – und ohne Umschweife in der darauffolgenden Ausgabe selbstverständlich wunschgemäß die Reihenfolge der Meldungen verändert wurde. Oder es ist die rhetorische Eskalation vom Klimawandel zur Erderhitzung, das Gendern als sprachliche Stolperfalle für jeden Ansager und die freigiebige Nutzung der Bild-Ton-Schere als Instrument der Verwirrung des Zuschauers, welche nicht mehr an Einzelfälle denken lassen – sondern Ausdruck eines massiven Fehlverhaltens der vierten Gewalt sind.
Wenn der Anchor die Schlagzeile über den Prozess gegen Björn Höcke zunächst lang und breit mit den bestialischen und brutalen Verbrechen der nationalsozialistischen Kampfeinheit anmoderiert, um anschließend ungeniert die suggestive Unterstellung zu platzieren, wonach der AfD-Politiker mit der Verwendung von drei aneinandergereihten Worten bewusst eine ideologische Nähe zur SA erkennen ließ, ist jede Unabhängigkeit, Unvoreingenommenheit und Untendenziösität verloren gegangen. Denn es braucht nicht einmal eine Verbreitung von nachweisbaren Falschbehauptungen oder offensichtlichen Lügen, um den Bürger zu beeinflussen. Stattdessen ist es hinreichend, wenn man die Legalisierung von Cannabis, das Selbstbestimmungsgesetz oder das neue Staatsbürgerschaftsrecht als großen Wurf der Ampel verkauft – ohne aber beispielsweise auf die täglichen Messerangriffe durch fanatisierte Extremisten einzugehen.
Es ist also die selektive Auswahl dessen, über was überhaupt verkündet und gesprochen wird, die bereits völlig genügt, um die Prinzipien der Eindeutigkeit, Sorgfalt und Umfänglichkeit zu verletzen. Die ständige Verwendung von Narrativen vom anthropogen verursachten Anstieg der Durchschnittstemperaturen, über die Bedrohung von rechts, die Bedrohung der Volksherrschaft durch die Alternative für Deutschland, die mangelnde Bereitschaft der Deutschen zur Eingliederung von „Schutzsuchenden“, die Rettung unserer Renten durch die bereichernde Migration, der Krieg um unsere Freiheit im Donbass, die erfolgreiche und sich lohnende Energiewende der Grünen, der nahende Wirtschaftsaufschwung durch die Erneuerbaren, das böse CO2, die gefährliche Trikot-Rückennummer 44, die Friedseligkeit des Islam, der gesundheitsfördernde Veganismus, die Vielfalt der unzähligen Geschlechter bis hin zum nächsten Kanzler Habeck triefen nur so vor Anbiederung an das Establishment.
All diese offensichtliche Desinformation darf man nicht mit unbeabsichtigten Fehlern der Verantwortlichen entschuldigen. Sie sind der Beleg für eine eingeebnete Rückgratlosigkeit, die zwar jeder Einzelne für sich mit seinem Gewissen vereinbaren muss. Doch es kann bereits aus demokratischen Erwägungen nicht angehen, in vollem Bewusstsein die simpelsten Regeln außer Kraft zu setzen, die das Vertrauen der Menschen in die Independenz der medialen Unterrichtung des Souveräns stärken und sichern sollen. Dass auch ich als Medienakteur mittlerweile auf nahezu jedes Format des ÖRR verzichte, hängt nicht zuletzt mit dem missionierenden Charakter zusammen, den man von ARD bis „Süddeutscher Zeitung“, von ZDF bis „Zeit“ dem eigenen Handeln verleiht. Doch in einer freiheitlichen Grundordnung benötigen wir als Erwachsene keine Erziehung, sondern lediglich ein Mindestmaß an Bereitstellung unverblümter Tatsachen, auf deren Grundlage wir eigenständig zur Bewusstseinsbildung befähigt werden.
Niemand von uns benötigt betreutes Fernsehen. Wir sollten das uns Übermittelte noch selbst beißen und verarbeiten, statt es vorgekaut und mundgerecht zur unmittelbaren Indoktrination entgegenzunehmen. Es ist eben nicht der Auftrag, die Bevölkerung zu moralisieren und disziplinieren. Am Ende soll ein Angebot gemacht werden, sich aus einer erworbenen Sachkenntnis oder Kommentierung eine individuelle Meinung zu bilden und zu einer persönlichen Sichtweise zu gelangen, welche im besten Fall stets Argwohn gegen alles zu selbstverständlich und offensichtlich Erscheinende beinhaltet. Solange diese Intension nicht in den Redaktionsstuben der Republik Einzug hält, werde ich die halbgaren Versuche der Abgrenzung derjenigen nicht verstehen, die doch eigentlich in der Ausbildung gelernt haben sollten, dass Journalismus aus dem Französischen entlehnt ist – und Tagebuch der Wahrheit statt Poesie der Manipulation bedeutet.
[…] Gefangen im Spagat aus monetärer Abhängigkeit und weltanschaulicher Überzeugung: Journalismus zwi… […]