Kommentar von Dennis Riehle
Es ist ein seit jeher überaus umstrittenes und rechtlich fragwürdiges Unterfangen, das sich die christlichen Religionsgemeinschaften in diesem Land hinsichtlich der illegalen Einwanderung leisten, wenn sie gerade denjenigen Personen sogenanntes „Kirchenasyl“ gewähren, die nach objektiven Maßstäben eigentlich abgeschoben werden müssten – aber von Gutmenschlichkeit getragenen Klerikern und ihren Unterstützerkreisen in den Gotteshäusern dieser bunten Republik jenen Schutz erhalten, den sie aus staatlicher Hinsicht nicht verdient hätten. Und so wirkt es schon einigermaßen dreist und grotesk, wenn sich Pfarrer nun darüber empören, dass ausgerechnet diesen Migranten zu wenig Respekt und Anerkennung zuteilwerde, die nach irdischen Gesichtspunkten keine Bleibeperspektive besitzen – und reif wären für die Rückführung in ihre Herkunftsgebiete.
Denn es ist auch nicht mit biblischen Grundsätzen vereinbar, dass man seine Herzen gegenüber jedem Fremden öffnet. Schaut man sich sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament um, wird auch dort die Nächstenliebe abgestuft. Jedem Individuum steht zwar die Agape des himmlischen Vaters zu – und das bedingungslos. Allerdings muss auf einer endlichen Welt mit begrenzten Ressourcen entsprechend mit ihnen gehaushaltet werden. Zwar finden wir in der Schrift viele Beispiele für eine Flucht oder Völkerbewegung. Und aus ihnen leitet sich auch der Auftrag für Obdach und Sicherheit ab. Doch blickt man allein auf das Gleichnis des Barmherzigen Samariters, so eröffnet sich wiederkehrend die Differenzierung zwischen jenen, die in der eigenen Gruppe fremd geworden sind – und an die Seite gedrängt scheinen. Diesen Ausgegrenzten innerhalb des immanenten Verbundes gilt zunächst die größtmögliche Aufmerksamkeit, sie wieder einzugliedern – und aus ihrer Isolation durch die Gesellschaft zu befreien.
Blickt man auf die hebräischen Ursprungstexte, findet man gleichzeitig den Begriff des Auswärtigen. Gemeint ist dort der tatsächlich aus der Ferne stammende Schutzsuchende, dem wir uns zuwenden sollen, sofern wir nach der Sorge um unsere Nachbarn über weitere Kapazitäten verfügen sollten. Und dass es dafür entsprechende Regeln braucht, die dem Aspekt der Fairness gerecht werden, macht sich wiederum auch an der Tatsache fest, dass Jesus selbst zahlreiche Trittbrettfahrer entlarvt hat. Exemplarisch sei dabei die Fußwaschung genannt, während der er bereits erkannte, dass Judas sein Verräter ist. Wer seine Not nur vortäuscht und sich aufgrund eines wirtschaftlich und sozialen Schicksals auf den Weg nach Europa macht, verhält sich orthodox gegenüber denen, die in ihrer Heimat einer nachgewiesenen Verfolgung ausgesetzt sind.
Dass sich die Institution mittlerweile weit von ihrem Chef entfernt hat, das zeigt nicht nur ihre Anbiederung an den Zeitgeist, wenn sie sich beispielsweise für eine Überwindung der evolutionären Binarität einsetzt – und Geschlechterlosigkeit propagiert. Oder dass sie sich mit Vehemenz in einen Klimafanatismus versteigt – und in transhumanistischem Eifer davon ausgeht, man könne natürliche Schwankungen und Entwicklungen des an sich überaus resilienten und sich selbst regulierenden Gefüge dieses Globus mit unseren bescheidenen Möglichkeiten beeinflussen. Auch der Umstand, dass sie sich für eine Lockerung des Abtreibungsrechts ausspricht – und damit dem Lebensschutz massiven Schaden zufügt, macht die Entfremdung von den eigenen Wurzeln und Grundsätzen mehr als deutlich. Besonders perfide ist deshalb auch ihre Fürsprache für die sogenannte „Seenotrettung“ im Mittelmeer.
Dass sich sogar Bischöfe für sie einsetzen – und sich damit zu einem indirekten Handlanger und Unterstützer der unmenschlichen Schlepperei machen, hat nicht zuletzt bei vielen Schäfchen die Entscheidung vereinfacht, dem Protestantismus oder Katholizismus den Rücken zu kehren. Denn wer jegliches Gewissen am Kreuz aufhängt, weil er sich mit dem vermeintlich hehren Ziel der Aufnahme jedes Geschöpfes auf eines der „Sea Watch“-Schiffe in Ansehen und Glanz brüstet, lässt schon tief blicken in eine überaus paradoxe Philosophie. Immerhin ist es gerade dieser verheerende Sogeffekt, der die unzufriedenen Verlierer auf dem afrikanischen Kontinent dazu verleitet, eine gefährliche Reise anzutreten, weil sie in blinder Naivität darauf vertrauen, im Zweifel aus dem Wasser gefischt zu werden – und damit einen Freifahrtschein in einen europäischen Hafen gewonnen haben. Das Gemeinmachen mit diesen Pull-Faktoren ist ethisch höchst verwerflich – und demaskiert ein Verständnis von Indulgenz und Seelengüte, bei dem es nicht etwa darum geht, ob der individuellen Gnädigkeit beim Messias höchstpersönlich einen Stein im Brett zu haben.
Stattdessen möchte man eigene Insuffizienzgefühle, Versagensängste und Scheitern kompensieren – und hofft insgeheim darauf, vor dem letzten Gericht eine Argumentationskette vorweisen zu können, die vor dem Fegefeuer bewahrt. Es ist also ein Ausdruck von Ich-Bewusstsein, Hochmut und Verlogenheit, wenn man nach außen hin seine Philanthropie zur Schau stellt – aber im Grunde keinen anderen Zweck verfolgt als die ureigene Sühne für begangene Fehltritte, Schuld und Versäumnisse. Denn von ihnen gibt es bekannterweise innerhalb der Kirche genügend. Und so kann man es auch als ein Ablenkungsmanöver von zahlreichen, nicht selbst begangenen Fällen an sexuellem und religiösem Missbrauch von Untergebenen werten, wenn man mit Schlagzeilen aufwartet, die Wohltätigkeit, Milde und Großmut suggerieren sollen. Erfolgreich wird dieses Gebaren allerdings nicht sein. Denn die Statistiken über die Austritte irren sich nicht.
[…] Gottes Barmherzigkeit mag unerschöpflich sein, die irdische Nächstenliebe ist es dagegen nicht! […]