Kommentar von Dennis Riehle
Als ich mich für die Ausbildung zum Journalisten entschied, da war mein Verständnis darüber, welche Rolle ich später einmal als Medienschaffender in der Gesellschaft und Demokratie einnehmen möchte, bereits ziemlich weit ausgereift. Denn vor vielen Jahren gehörte es noch zu einer gewissen Selbstverständlichkeit, sich in einer solchen Position davon fern zu halten, mit den Mächtigen zu kuscheln – und sich stattdessen an den Regenten zu reiben. Ich kann die heutige Anbiederung einer Mehrheit aus meiner Zunft gegenüber der herrschenden Klasse zwar erklären. Trotzdem werde ich sie nicht akzeptieren oder gar gutheißen. Denn egal, ob man sich mit CDU, SPD, Grünen oder FDP ins Bett legt, als Publizist sollte man zumindest im Beruf ideologisch enthaltsam leben. Es sind nicht selten materielle und ideelle Zwänge, in denen meine Haltungskollegen verhaftet sind. Die Jobs für unsere Branche liegen keinesfalls auf der Straße. Und die Bezahlung ist außerhalb der großzügig gebührenfinanzierten Sender wie ARD oder ZDF auch nicht sonderlich üppig.
Und so kann man sich durchaus glücklich schätzen, wenn man in einem angestellten oder freien Verhältnis zu einem Arbeitgeber steht, um so auch die Familie ernähren zu können und nicht ständig bange darüber sein zu müssen, ob man am nächsten Tag genügend Aufträge bekommt, um sich monetär über Wasser zu halten. Bei aller Nachsicht über diese Beweggründe bleibt es für mich ein schamloses Verhalten, seinen Ethos an der Garderobe der Redaktion abzugeben – und das Gewissen an den erstbesten Parteisoldaten zu verkaufen, der Teilhabe an Macht und Einfluss in Aussicht stellt, falls man dazu bereit ist, als Schreiberling die Contenance zu verlieren, um sich für Hofberichterstattung und Werbung über eine am Boden liegende Ampel oder einen vermutlich nächsten Kanzler Friedrich Merz herzuschenken. Für mich war es immer Motivation, Ansporn und Reiz, gerade nicht im Einheitsbrei unterzugehen, sondern mich beständig und in Leidenschaft der Obrigkeit mit ihrer Arroganz entgegenzustellen – und in die stets andere Richtung zu schwimmen als der Zeitgeist.
Denn die Kunst liegt nicht darin, den Etablierten nach dem Mund zu reden. Natürlich ist es mit Anstrengung, Mühe und einem gewissen Risiko verbunden, sich als Widersacher des Kartells zu begreifen. Wollte ich jedoch Sprachrohr für Minister und Abgeordnete werden, so hätte ich mich stringent meiner Zweitqualifikation als PR-Berater widmen müssen. In einem solchen Status wäre es legitim, sich wie manch ein Experte in den Verkaufssendern und Teleshopping-Angeboten der Nation für eine bestimmte Marke einzusetzen, um sie an Mann, Frau und Wähler zu bringen. Aber ich will gerade nicht in die Bewusstseinsbildung des mündigen Souveräns eingreifen, ihn erziehen, moralisieren oder bevormunden. Denn er braucht niemanden, der ihn an die Hand nimmt und beim Denken betreut. Auch muss man ihm die Meinung nicht vorkauen oder in mundgerechten Stücken servieren, sollte man es ehrlich und ernst meinen mit der Volksherrschaft, in der die abschließende Erwägung über das Votum auf dem Stimmzettel allein durch den Einzelnen getroffen wird.
Es ist eine Unsitte, als anmaßender Muckraker im ÖRR oder bei all den willfährigen Zeitungsformaten dieser Republik den Anspruch zu verkörpern, ich müsse an Umfragen etwas verändern. Letztlich ist es nämlich nicht meine Aufgabe, Ratschläge zu erteilen oder Empfehlungen auszusprechen. Meine Souveränität liegt in der Erkenntnis, die Integrität des Zuschauers oder Lesers zu wahren – und ihn als selbstbestimmt zu achten. Da kann meine ureigene Präferenz für eine bestimmte weltanschauliche Gesinnung noch so groß sein. Außerhalb von bestimmten Genres wie dem Kommentar hat Subjektivität nichts zu suchen. Genauso gebiet es sich auch, beim Präsentieren von Nachrichten und Schlagzeilen ein authentisches Abbild der Wirklichkeit zu liefern. Regelmäßige Selektion, um beispielsweise unangenehme Wahrheiten umschiffen zu können, ist ebenso ein bewusster Mechanismus der Manipulation. Wer tatsächlich mit sich im Reinen sein möchte und morgens problemlos in den Spiegel schauen will, der möge informieren, statt die Köpfe zu infiltrieren.