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Zurück zu parlamentarischer Normalität: Sachsen zeigt, wie Demokratie funktioniert!

Kommentar von Dennis Riehle

Wir sind das Volk! – So riefen es die Menschen in der DDR, als sie keine Lust mehr hatten auf Unterdrückung, Drangsal und Tyrannei. Der Druck auf die sozialistischen Diktatoren wuchs beständig an, als man erkannte, dass ein anderes Dasein möglich ist. Und so gleicht es bis heute einem Wunder, dass die Festung eines Unrechtsstaates friedvoll niedergerissen wurde – nach einer Durststrecke von Zensur, Überwachung und Kontrolle. Vielleicht ist es die Erinnerung an diese Mentalität des Lossagens, welche im Augenblick dazu führt, dass erneut Mauern fallen. Und nein, auch wenn manch eine Bundestagsvizepräsidentin den damaligen Todesstreifen durch ihre Vergleiche mit regulären Grenzkontrollen in der Gegenwart massiv relativiert, so wissen doch die Verstandsmäßigen, dass es momentan nicht um Stacheldraht geht – sondern um peinliche Hemmnisse in den Köpfen eines Kartells von Union bis Linken, die zu einer für die Demokratie völlig unwürdigen Distanzeritis beitragen.

Der Wesenskern einer Volksherrschaft liegt unter anderem in ihrer Selbstregulierungskraft. Nur in den äußersten Notfällen, bei einer geschlossenen Indizienkette und plausiblen, konsistenten und substanziellen Nachweisen für das Überwinden von unantastbaren Werten können in diesem System Verbote ausgesprochen werden, sofern sich Probleme nicht mehr durch den Austausch von Inhalten und Argumenten lösen lassen. Der immanente Bestandteil eines repräsentativen Gefüges bleibt der Wettbewerb um die besten Konzepte und Antworten für die Herausforderungen des Hier und Jetzt, im Zuge dessen harte Debatten das Ringen nach Einfluss und Mitsprache auf eine disziplinierte, routinierte und uneloquierte Art befördern sollen. Es widerspricht dieser Idee diametral, eine postinfantil anmutende Kontaktscham durch Kraftausdrücke und Wortgewalt zu überdecken – und mit der Moralkeule von Faschismus und „So hat es damals auch angefangen!“ um die Ecke zu kommen, sobald man sich von der Überzeugungskraft des weltanschaulichen Gegners in die Ecke gedrängt fühlt.

Die Republik mutet in diesen Tagen wie ein überdimensionierter Sandkasten an, in dem sich bockige Kinder um Schäufelchen und Eimereichen zanken, um danach plärrend darauf zu warten, dass sie von den Eltern aus den Fängen des bösen Gegenübers befreit werden, der die schöneren Burgen gebaut hat – und auch noch stolz darauf ist. Auf Bundesebene hält die ideologische Grenzlinie zur AfD. Denn dort sind auch weiterhin Protagonisten am Werk, die Goebbels bis heute möglicherweise noch immer mit „ö“ schreiben – und sich in paranoid wirkender Geschichtsvergessenheit gewiss scheinen, dass er sich in Alice Weidel reinkarniert zeigt. Ein abstruses Schauspiel bemitleidenswerter Demagogie und Agitation macht auch keinen Halt davor, im Zweifel die dunkelsten Kapitel der Vergangenheit zu instrumentalisieren – weil man mit weniger abgedroschenen Phrasen intellektuell überfordert wäre. Die Abgeschiedenheit von der Realität verunmöglicht jede Konfrontation mit der Programmatik der Alternative für Deutschland.

Sie verhindert aber auch eine Begegnung mit den Funktionären der Partei, welchen man als erwachsener Mensch in die Augen schauen sollte, statt aus der Ferne des Wolkenkuckucksheims täglich neu sein Vokabular zu verschärfen. Da findet die Auseinandersetzung nicht mehr im Hohen Haus statt, sondern in willfährigen Interviews des ÖRR oder im Dunstkreis unter seinesgleichen im Internet. Diese Entfremdung schützt allerdings nicht davor, sich bei Bedarf inmitten der digitalen Öffentlichkeit die Blöße historischer Bildungslücken zu geben. Da ist man in der Peripherie schon weiter – und lässt den Ekel vor den Blauen wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. So geschehen nun auch im Parlament in Dresden, wo man ohne allzu viel Aufsehen einen feindlichen Patrioten zum Vizepräsidenten wählte, der in seinem Auftreten nicht nur bescheiden, rational und kompetent wirkt. André Wendt überzeugt durch seine Versiertheit, Nüchternheit und Klugheit. Schließlich hat er von Anfang an deutlich gemacht, dass es ihm nicht um seine Person geht, sondern um die Sacharbeit.

Die ausgestreckte Hand wurde angenommen. Und so ist dieser Akt aus Pragmatismus und Vernunft stilbildend und exemplarisch, wie man unter Volljährigen miteinander umgeht. Man kann Sachsen nur wünschen, in der neuen Legislaturperiode von pubertärem Gehabe verschont zu bleiben. Denn die Missstände in unseren Breiten sind derart eklatant, dass man sich eigentlich kein Schmierentheater leisten kann. Es braucht mehr Christian Hartmann – Fraktionschef der CDU -, weniger Marco Wanderwitz. Selbst wenn man nur mutmaßen darf, woher die erforderlichen Stimmen kamen, so scheint es augenscheinlich der Erstplatzierte vom 01. September gewesen zu sein, der zu einem völlig normalen Vorgang in einem gesitteten Plenum verhalf. Denn begibt man sich unvoreingenommen und ehrlich auf die Suche dessen, was denn nun konkret verwerflich an der Politik des in Berlin noch immer als rechtsextremistisch geschmähten Konkurrenten gelten soll, so wird man nur dann fündig werden, wenn man seinen Kompass im Zeitgeist verloren hat.

Schließlich scheint viel von dem, was mittlerweile als radikal verschrien wird, noch vor ein oder zwei Dekaden mittig, hehr und solide gewesen zu sein. Ob es nun die Einhaltung des Grundgesetzes mit Blick auf Asyl und Migration ist, ein verhältnismäßiger Umweltschutz statt einer verkopften Transformation, zwei Geschlechter statt Beliebigkeit, Bürgergeld als Ausnahme statt als Regelfall, nationale Souveränität und gesellschaftliche Integrität anstelle von bedingungsloser Toleranz und endlosem Multikulturalismus, Frieden statt Krieg, Wetter statt Klima, Meinungsfreiheit statt Repression, Polizei statt Meldestelle, Journalismus statt Propagandismus, Normen und Sitten anstelle von Nacktheit und Perversion, Messer in der Küche statt in der Fußgängerzone, Nazis im Jahr 1933 statt in 2024, Mehrheit statt Minderheit: Langsam aber sicher kehren Weitsicht, Räson und Logik zurück. Und diese Veränderung ist es, werte Katrin Göring-Eckardt, auf die ich mich ganz ungeniert freue.