Kommentar von Dennis Riehle
Als Journalist hat man fast zu jedem Thema etwas zu sagen. Denn die Beschäftigung mit der gesellschaftlichen Gegenwart gehört zu den Kernaufgaben jedes publizistisch Tätigen. Und da sollte es im Zweifel auch keine Berührungsängste mit noch so skurrilen Positionen, Standpunkten und Forderungen der unterschiedlichsten Parteien geben. Und so ist es im Augenblick auch nicht die Politik, die mich einigermaßen entsetzt, verärgert und sprachlos zurücklässt. Sondern es sind meine eigenen Kollegen, die einen über Jahrzehnte aufgebauten Ruf innerhalb kürzester Zeit in die Tonne treten, wenn sie unter anderem als Angehörige der Redaktion eines einst hochgeschätzten Nachrichtenmagazins ein Cover nach dem nächsten präsentieren, das nichts weniger ist als plumpe Propaganda, Spaltung und Agitation. Da hatte man ganz offen ein Hakenkreuz auf der Titelseite abgedruckt, Björn Höcke mit anderen Charakteren aus dem heimatliebenden Spektrum zu Faschisten des 21. Jahrhunderts erklärt oder in AfD-Blau kolorierte Sportschuhe als Ausdruck eines völlig legitim stattfindenden Rechtsrucks mit diffamierenden Superlativen in Szene gesetzt.
Und obwohl die Absatzzahlen der Zeitschrift desaströs sind, gräbt sie sich immer weiter ein in die mittlerweile nur noch als Paranoia zu bezeichnende Irrfahrt, zwanghaft Parallelen zu 1933 aufbauen zu wollen. So schreckt sie in einem aktuellen Artikel auch nicht mehr davor zurück, die hohe Präferenz für die Alternative für Deutschland unter den jungen Wählern mit den Anfängen der Nazizeit zu vergleichen. Auch damals hätte es so angefangen, meinen die zu willfährigen Demagogen mutierenden Kolumnisten. Die NSDAP habe zunächst den Nachwuchs indoktriniert, ehe man schließlich das Gros der Bevölkerung auf seine Seite zog. Letztlich war ich davon ausgegangen, dass es zur Perfidität selbsternannter Demokraten aus den unterschiedlichsten politischen Lagern, schamlos und dreist zumindest indirekte Verbindungen zwischen Alice Weidel und Adolf Hitler herzustellen, keine wirkliche Steigerung mehr geben könnte. Aber es existiert in diesen Tagen eben doch diese für „nie wieder“ denkbar gehaltene Einsicht, dass Relativierung bis ins Absurde getrieben wird. Sie lässt sich auf die einfache Formel bringen: Wenn du denkst, es geht nicht schlimmer, mit dem „Spiegel“ gelingt’s fast immer.
Man muss sich die Abwegigkeit der Argumentation auf der Zunge zergehen lassen, um die Schizophrenie dieses Theaters auch nur ansatzweise begreifen zu können. Da geht es nicht um Versäumnisse einzelner Medienschaffender im Geschichtsunterricht, sondern um eine Klitterung der Historie in einer beispiellos verachtenswerten Dimension. Wenn sich die Opfer des Holocaust heute noch in einer größeren Zahl zu Wort melden könnten, würden sie einer in Vergessenheit lebenden Kohorte an Revisionisten die Leviten lesen. Die damaligen Geschehnisse bleiben auch deshalb singulär, weil das Zusammenspiel von Voraussetzungen, die später den Aufstieg eines Führers an die Macht ermöglichten, einer einigermaßen exklusiven und nur schwer reproduzierbaren Gemengelage entsprachen. So waren es nicht nur die Enttäuschungen aus dem Ersten Weltkrieg, die katastrophale wirtschaftliche Situation und das bis zur Unkenntlichkeit verwaschene Selbstbewusstsein eines am Boden liegenden Landes, die den Weg in die Katastrophe ebneten.
Dazu kamen viel eher eine bis zur Entmenschlichung reichende Sündenbock-Theorie, das Fehlen einer ernsthaft zum Einschreiten bereiten Opposition, mangelnde Mechanismen der Gewaltenteilung oder der Größenwahn einer ganzen Generation, welcher weit über jede Form der Herkunftsverbundenheit hinausreichte. Zweifelsohne fühlen sich die Sprösslinge von heute nicht nur durch die Gängelung während der Corona-Pandemie verraten und verkauft. Sie erleben auf dem Schulhof neben einer Unterwanderung der christlich-abendländischen Tradierung und Kultur auch messerscharfe Angriffe auf die Existenz ihrer eigenen Gruppe. Und es kann nun einmal nicht jeder von einem Masochismus geplagt sein, der sich insbesondere unter Grünen-Anhängern einerseits in der Hingabe offenbart, im Zweifel auf Kinder zu verzichten, um das Klima zu retten. Und der zeigt andererseits in der unnötigen Selbstgeißelung Ausdruck findet, auf Basis einer psychotisch wirkenden Kollektivschuld für jene Vergangenheit, an der man als nach dem Dritten Reich geborenes Individuum nichts mehr ausrichten konnte, grenzenlose Kasteiung und Unterwerfung gegenüber dem Fremden zu üben.
Doch weil es viel Fantasie dafür braucht, acht Dekaden nach Ende dieser schrecklichsten Kapitel in unserem identitären Bewusstsein auch weiterhin eine Gemeinschaftshaftung für Gedanken und Taten unserer Vorfahren zu empfinden, kann man diese akrobatische Hirnleistungen nicht denjenigen abverlangen, die einfach nur einen gesunden Stolz, ein angemessenes Ehrgefühl und einen rationalen Verstand in sich tragen. Denn für gewöhnlich ist es auch unserer Gattung immanent, sich gegen eine Bedrohung für die persönliche und mehrheitliche Daseinsberechtigung zur Wehr zu setzen. Das hat dann nichts mit Joseph Goebbels zu tun, sondern entspringt Art. 116 GG, der uns dazu auffordert, den Erhalt der deutschen Volkszugehörigkeit sicherzustellen. Man kann es niemandem verübeln, sich weniger intensiv auf Veränderung zu freuen als Katrin Göring-Eckardt. Und so tun unsere Heranwachsenden nichts Verwerfliches, Anrüchiges oder Despektierliches, wenn sie das jeder Nation auf diesem Globus zustehende Recht zur Verteidigung von Souveränität, Integrität und Unversehrtheit mit einem Gesinnungswandel in Richtung Patriotismus und Idealismus für sich beanspruchen.