Kommentar von Dennis Riehle
In diesen Tagen erinnere ich mich an meine Kindheit zurück. Denn auch ich war gerne im Sandkasten und habe dort meine Burgen gebaut. Und ich konnte durchaus bockig werden, wenn mir jemand mein Schäufelchen und Eimerchen streitig gemacht hat. Es ist diese Trotzigkeit, die mich heutzutage bei vielen Erwachsenen beeindruckt, irritiert und erstaunt. Sie haben teilweise ein hohes Alter erreicht. Und darum sollte man eigentlich davon ausgehen, dass sie von einer gewissen Lebenserfahrung und Reife profitieren. Doch wenn aktuell „Omas gegen rechts“ trommeln, stricken oder singen, dann kommen in mir gewisse Vermutungen daran auf, dass zwischen Pubertät und Senilität eben doch gewisse Parallelen existieren. Viele Mütter und Väter können ein Lied davon singen, wie Teenager ihren Kopf durchzusetzen versuchen. Und im Pflegeheim weiß man gleichermaßen um die Starrsinnigkeit, die die Hochbetagten gezielt nutzen, um ihren quengeligen Interessen Nachdruck zu verleihen. Welche Profanität und Stupidität schwingt also mit, wenn sich im 21. Jahrhundert ausgerechnet diejenigen in ein „Nie wieder“ und „So hat es damals auch angefangen“ versteigen, welche noch am nächsten dran sind an den dunkelsten Kapiteln unserer Historie? Während der grüne Landesverband in Thüringen mitsamt der Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt wiederkehrend vor einem erneuten Erstarken des Faschismus warnt, wird Lars Klingbeil offenbar noch immer von Nazi-Trugbildern verfolgt, wenn er in einer beispiellosen Geschichtsklitterung in nahezu jedem AfD-Funktionär ein Revival von führenden Massenmördern aus Zeiten des Holocaust erkennt. Es scheint nach Corona die nächste Pandemie, wenn momentan eine Paranoia grassiert, die eine frevelhafte Relativierung des Dritten Reiches widerspruchslos gewähren lässt.
Hat die Bildung in unseren Breiten tatsächlich derart versagt, dass es selbsternannten Gutmenschen offenbar unmöglich scheint, diametrale Unterschiede zwischen 1933 und 2024 zu benennen? Kaum jemand von denen, die mit wortgewaltigen Kraftausdrücken um sich werfen, wird deren tatsächliche Bedeutung und Definition liefern können. Stattdessen bedient man sich willkürlich schwergewichtiger Vokabeln, die nicht nur als Totschlagargument herhalten. Sondern die das Bemühen einer Brandmarkung unterstreichen, welche im Geist von Denunziation und Verleumdung eine moderne Variante des Totalitarismus kennzeichnen – dem Regierungskritiker beispielsweise in der DDR ausgesetzt waren. Auch zu Honecker und Ulbricht verbieten sich allzu schnelle Parallelen. Dennoch sind wir auf einem Weg in Richtung Absolutismus, in dem zunächst eine oligarchische Minderheit die Deutungshoheit darüber beansprucht, was extremistisch, verfassungsfeindlich und böse ist. Wer das Prinzip der Volksherrschaft auch deshalb nicht verstanden hat, weil er einen durch den Souverän regelmäßig legitimierten Konkurrenten in eine anrüchige und verwerfliche Ecke stellt, sollte sich in seiner Willkür nicht auf die Verteidigung der Freiheit berufen. Denn in unserem liberalen System gehört es ausdrücklich dazu, dass bestehende Verhältnisse im Zweifel für jeden eine gewisse Zumutung darstellen. Wäre dem nicht so, befänden wir uns inmitten einer Autokratie. Und man wird nur schwerlich bestreiten können, dass die Aktualität genau darauf Kurs nimmt. Immerhin haben sich mittlerweile die Fronten derart verhärtet, dass dich bei der Auswahl in der Stimmkabine nur noch die Frage stellt, ob man entweder das eingeebnete Kartell unterstützt – oder sich für einen Anbieter aus der ihren Namen tatsächlich noch verdienenden Opposition jenseits der Union entscheidet.
Dass die Ausprägung von Lagern nicht nur beim Urnengang spaltet, sondern unsere Gesellschaft insgesamt polarisiert, ist dem albernen und dämlichen Mauern geschuldet, das einem vernunftorientierten und mündigen Ringen um die besten Antworten und Lösungen für die Probleme und Herausforderungen des Hier und Jetzt schlichtweg unwürdig ist. Wer sich der Konfrontation mit Argumenten, Sachinhalten und Konzepten verweigert, die der politische Gegner auf das Tableau bringt, erweist sich nicht nur als denkfaul und ignorant, sondern der Demokratie überdrüssig, abspenstig und schmählich. Und was sagt es auch über den Zustand eines Kollektivs aus, wenn wir mit unserem Nachbarn nicht mehr über den Gartenzaun kommunizieren, sondern über die Anrufung von Meldestellen der Nancy Faeser? Die Atmosphäre größtmöglichen Argwohns, Misstrauens und Urteilens ist dazu geeignet, den Kitt einer Gemeinschaft zu erodieren, die gerade angesichts der dramatischen Überforderung mit den Konsequenzen einer linksökologischen Ideologie eigentlich auf Zusammenhalt angewiesen wäre. Dass sich Großeltern dazu hinreißen lassen, bereits ihre Enkel mit Märchenerzählungen über Björn Höcke zu infiltrieren, entspricht einer maximalen Verantwortungslosigkeit. Ethik, Skrupel und Gewissen sind abhandengekommen, weil man sich einer impertinenten Agitation des Establishments und der Leitmedien anschließt, die nicht etwa auf konkreten, begründeten und substanziellen Fakten beruht. Stattdessen sind es Ressentiments und Vorurteile, die einer nüchternen und unvoreingenommenen Überprüfung nicht standhalten würden. Wer ein Miteinander auf solch tönernen und fragilen Füßen errichtet, dem geht es nicht um die Zukunft. Sondern um Gesinnung, Mentalität und Prinzip.