Kommentar von Dennis Riehle
Ein Land lässt sich gängeln. Mittlerweile diktiert uns die Politik nicht mehr nur, wie wir heizen, bauen, konsumieren, denken, sprechen oder mobil sein sollen. Auch mit Blick auf die persönliche Lebensweise gibt es immer neue Empfehlungen, wie wir unseren Fußabdruck verkleinern können – und uns damit von der zivilisatorischen Last der anthropogenen Verursachung von Klimawandel und Erderhitzung befreien können. Der Bundeslandwirtschaftsminister äußert mehr oder weniger deutlich, dass er sich in den Kantinen des Landes ein fleischloses Essensangebot wünscht. Karl Lauterbach ist seit jeher für wenig Salz und viel stilles Wasser zu haben – und gibt diese Ekstase auch gerne an seine Umgebung weiter. Und auch die immer linkslastiger werdende Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat nun einen weiteren Vorstoß unternommen, um uns darüber aufzuklären, zu belehren und zu erziehen, welche Lebensmittel wir zu uns nehmen sollten, um Umwelt und Gesundheit gleichermaßen etwas Gutes zu tun. Dass allerdings das, was dort ans Herz gelegt ist, für nicht wenige Menschen erhebliche Konsequenzen mit sich bringen kann, wird indes von den meisten Qualitätsmedien entsprechend verschwiegen. Die starke Fokussierung auf Getreideprodukte kann nicht nur für Diabetiker zu einer massiven Dysregulation des Blutzuckerspiegels führen. Denn eigentlich sollten auch die Experten entsprechend wissen, dass man nicht unbedingt die pure Glukose braucht, um am Ende eine Hyperglykämie auslösen zu können. Ohnehin strotzt das gesamte Konzept vor Einseitigkeit auf eine bestimmte Nährstoffgruppe, die unter Pflanzenfressern beliebt sein mag – für den Durchschnittsbürger aber zu Adipositas, Ermüdung, Kraftlosigkeit, Wassereinlagerungen und Konzentrationsstörungen führen kann.
Als Ernährungsberater ist es mir einigermaßen unverständlich, wie man eine derartige Devise als Fachgesellschaft ausgeben kann. Die Intention dieses Leitfadens ist hingegen offensichtlich: Es soll eine sukzessive Entwöhnung der Deutschen von tierischen Produkten vorangetrieben werden. Und das im Zweifel auch im Wissen um die Folgen für Vitalität und Psyche. Denn man sollte unsere Urgroßväter und die Evolution durchaus ernstnehmen, die den Menschen nicht ohne Grund zum Jäger und Sammler gemacht haben. Dass es in diesem Konstrukt unserer Schöpfung eine gewisse Rangordnung gibt, welche es unserer Spezies durchaus auch erlaubt, sich nicht nur die Körner auf den Feldern zu eigen zu machen, sondern auch die als Nutztiere vorgesehenen Lieferanten von wichtigen Energiequellen für unseren Körper, mag denjenigen nicht gefallen, die sich den Urzustand der Welt zurückwünschen und sie in einer biologischen und ökologischen Sterilität bis zum Ende der Tage unberührt lassen möchten. Doch wie oft saßen mir bereits Klienten gegenüber, die eine stringente vegane Lebensweise praktizierten – und sich über Muskelschmerzen, Unausgeglichenheit, Nervosität, eine rasche Alterung der Haut oder Probleme im Magen-Darm-Trakt beklagten. In ihrer ideologischen Fixierung und Einengung kamen sie schlichtweg nicht auf den Trichter, dass eine unausgewogene Auswahl an Waren im Supermarkt allzu schnell zu einer Überladung mit künstlichen oder suboptimalen pflanzlichen Proteinen führen kann, welche meist keinen qualitativen Mehrwert für unseren Organismus besitzen. In der weiteren Kausalität trägt diese Weltanschauung langfristig zu einer möglichen Übersäuerung bei – und macht sich erst sukzessive in einzelnen unspezifischen Symptomen bemerkbar.
Diese fehlende Balanciertheit in der Präferenz bestimmter Kost äußert sich darüber hinaus auch wiederkehrend in einem massiven Vitalstoff-Mangel, der häufig unbemerkt bleibt – und der aufgrund der Individualität kaum adäquat substituiert werden kann. Und so reiht sich das Narrativ der moralischen Verwerflichkeit vom noch immer mehrheitlich bevorzugten Fleischkonsum in eine Vielzahl an lebensfeindlichen Tipps einer oberlehrerhaft daherkommenden Bewegung ein, die mit dem erhobenen Zeigefinger ein Postulat in den Köpfen der Menschen verankern wollen, das sie bis zum Exzess in Verzicht und Kasteiung ermutigen soll. Doch genauso, wie es für unser Gefüge nur im Ansinnen des bis zur Unkenntlichkeit getriebenen Masochismus zuträglich ist, eine Vision des „Zero CO2“ zu verfolgen, bleibt eine singuläre Ernährung eine Gefahr für den auf Natürlichkeit angelegten Homo sapiens. Denn dass Tod und Sterben zu jeder Existenz auf diesem Globus dazugehören, beweisen auch unsere animalischen Freunde in ihrem Tierreich täglich dadurch, dass sie selbst auf die Jagd gehen – und im Gegensatz zu uns keine Scham verspüren, sich für das eigene Überleben an der Wildnis zu bedienen. Es hat möglicherweise etwas Märtyrerhaftes, wenn man sich anmaßt, den Lauf der Dinge zu unterbrechen – und sich für Entbehrung zu brüsten. Dass man sich in einer zeitgeistigen Dekade von allem Bewährten verabschieden möchte und es gänzlich anders machen will als die Konservativen, das ist dem Ansinnen der zwanghaften Veränderung und des Lossagens von alten Strukturen geschuldet. Und so passt die urälteste Praxis und Gewohnheit nicht mehr in das Bild einer wachsamen und korrekten Moderne, in der auch Verbrennermotoren, Ölheizungen oder Atomkraftwerke allein deshalb verpönt sind, weil man ihnen neidisch zugestehen muss, dass sie funktionieren. Daher verhält es sich auch mit Blick auf die Ernährung kaum divergent: Anstatt sich mit jedem Trend gemein zu machen, sollte man sich an einer weitsichtigen Nachhaltigkeit orientieren, die beispielsweise in Form eines behutsamen Flexitarismus jegliche Ethik und Vernunft berücksichtigt. Ich bevormunde niemanden. Jeder nach seiner Façon. Aber dann bitte ohne missionarischen Charakter!