Kommentar von Dennis Riehle
Wie oft erinnere ich mich an meine Schulzeit zurück – und habe entgegen vieler meiner Kollegen vor allem positive Eindrücke vor mir, wenn ich die 13 Jahre Revue passieren lasse, in denen ich zweifelsohne durch meine vorherrschende psychische Erkrankung ohnehin arg gebeutelt war. So traute man mir weder ärztlicherseits, aber auch durch manch einen meiner Pädagogen, nicht wirklich zu, dass ich das Abitur erreichen würde. Schon auf dem Weg in Richtung Oberstufe hatte man mir angeraten, mich mit dem zu begnügen, was ich bisher erreicht hatte. Und tatsächlich war ich durch Zwangserkrankung, Depression und Bipolarität erheblich in der Alltagsführung eingeschränkt – und das betraf vor allem auch die Aufmerksamkeit und Konzentration im Klassenzimmer. Doch weil es vielleicht auch zu den charakteristischen Persönlichkeitsmerkmalen dieser Betroffenen gehört, war mir seit jeher ein gewisser Perfektionismus immanent, der letztlich auch dazu führte, es denjenigen beweisen zu wollen, die nicht an meinen Erfolg geglaubt hatten. Und so staunten sie auch nicht schlecht, als am Ende mit einer Note von 1,9 ein respektables Ergebnis auf dem Zeugnis stand. Ich wurde in meiner Familie nicht obsessiv zu Engagement, Anstrengung oder Mühsal verdonnert. Ganz im Gegenteil. Man ging mit mir sehr vorsichtig, schonend und nachgiebig um, weil ich bereits als besonders vorzeitige Frühgeburt anfangs kaum eine Überlebenschance durch die Medizin zugesprochen bekam. Was man heute kaum noch erahnen kann, war ein großes Risiko gewesen. Ich kam derart klein und schmächtig zur Welt, dass anfangs nahezu jede Berührung verboten wurde. Doch vielleicht war es der schon damals große Wunsch nach dem Ringen und Kämpfen, der mich im weiteren Verlauf meiner Biografie einen Lebertumor, eine Hirnblutung und ein Nierenversagen ohne allzu größere Folgen hinter mich bringen ließ – obwohl ich beim lieben Gott immer wieder an die Himmelspforte klopfte, aber doch wiederkehrend auf die Erde zurück verwiesen wurde. Es war also eine Vita der vielen Widrigkeiten, mit der ich aber aus der heutigen Perspektive aber nicht hadere. Stattdessen ist sie für mich das entscheidende Potenzial gewesen, aus Rückschlägen eine neue Chance für Wachstum zu ziehen.
Prüfungen waren bei mir nicht nur im Unterricht eine Gelegenheit, mich daran zu messen. Ohne sie hätte es auch im Erwachsensein keine Katharsis gegeben, aus der ich gestärkt, zuversichtlich und hoffnungsfroh hervorgegangen bin. Möglicherweise erklärt dieser Umstand, warum ich bei der Betrachtung von Videos einiger Mitglieder der sogenannten „Generation Z“ in den Sozialen Medien mit viel Kopfschütteln zurückbleibe. Tränenreich, dramatisch und inszeniert wirken dort die Einlassungen, gemäß derer die nur mit Hängen und Würgen über einen Bildungsabschluss verfügenden Twentys nach einem Praktikum mit fünf Tagen und jeweils acht Stunden Beschäftigung körperlich, psychisch und kognitiv zusammenbrechen – und verzweifelt, frustriert und desorientiert die Frage an die Boomer richten: Wie habt ihr es damals geschafft, den Wiederaufbau eines ganzen Landes zu vollbringen, wenn wir nicht einmal eine Woche mit moderater Bürotätigkeit überstehen? Natürlich muss man sich stets vor Verallgemeinerungen zurücknehmen. Und selbstredend sind nicht alle Jugendlichen in dieser Altersgruppe derart verweichlicht, geschwächt und ambitionslos, dass man ihnen schon heute eine Karriere als Influencer oder Bürgergelder vorhersagen kann. Doch es ist diese infantile Bockigkeit und Trotzigkeit, sich mit dem Bewährten, Funktionierenden und Etablierten auch deshalb zu überwerfen, deren Wurzeln man wohl auch in einer nach Alt-68er-Manier ausgerichteten Erziehung suchen muss, die ihr Revival heute in den sogenannten Helikoptereltern erlebt. Sie kreisen den ganzen Tag um ihre Kleinsten – und lesen ihnen sämtliche Wünsche von den Lippen ab. Sie halten sie vor jeglichem Konflikt, vor Konfrontation und Provokation fern – und verhindern damit ein allzu notwendiges Training, Herausforderungen nicht immer zu umschiffen, sondern sich an deren Lösung zu versuchen. Ihnen wird auch noch mit 18 das Abendbrot in mundgerechte Stücke geschnitten. Man chauffiert sie mit dem SUV bis vor die Turnhalle – und beschwert sich sogleich beim Sportlehrer, wenn das Kind einmal einen Ball an den Kopf bekommt.
Diese Kohorte wird in der Überzeugung reifen, dass sie sich nur das antun muss, was mit ihren Gefühlen und Empfindungen in Einklang zu bringen ist. So nimmt man ihnen beispielsweise die Identifikation mit ihrem Geschlecht ab – und gibt ihnen im Zweifel die Möglichkeit, sich bis zum Ende ihrer Existenz nicht auf eine Richtung festlegen zu müssen. Man lehrt sie für den Fall von Erwartung des Kollektivs, dass Dickköpfigkeit ein hehres Credo sei – und man sich störrisch auf die Straße kleben kann, wenn Politik und Gesellschaft nicht das auf den Weg bringen, was sich so manch ein Halbstarker in seiner ideologischen Verirrung auf die Fahnen geschrieben hat. Und falls nun einmal kein Job frei ist, in dem die sogenannte „Work-Life-Balance“ stimmt, lässt man sich als wohlgepamperter und überbehüteter Leistungsverweigerer vom Steuerzahler alimentieren. Eine solche Auffassung der Bequemlichkeit, des Dekadenten und der Impertinenz kann sich eine Sozietät nicht bieten lassen, in der sich zum Faulenzertum Mutierte darauf verlassen, dass die Euronen an den Bäumen wachsen – und die Grundsicherung bei Bedarf vom Nachbarn erwirtschaftet wird. Ich habe bis heute keinen Schaden davongetragen, mit meiner ständigen Verpflichtung gegenüber unserer Gemeinschaft auch im heutigen Zustand der deutlichen Zeichnung durch den Parkinson und andere Gebrechen nach meinen Kräften und Möglichkeiten auch weiterhin etwas für uns alle beizutragen. Wo ist nur dieses Bewusstsein bei denjenigen geblieben, die als Antifaschisten mittags um 14.00 Uhr aus dem Bett steigen – und zwei Stunden später vor dem Brandenburger Tor „Nazis töten“ grölen? Wahrscheinlich dürften sie in ihrer Entwicklung an zahlreichen Schaltstellen falsch abgebogen sein. Und weil dies so ist, bin ich umso mehr dankbar, dass sich immer offensichtlicher eine Bewegung an Nachkömmlingen von diesem Phlegmatismus und Müßiggang nicht beeindrucken lässt. Und aus Liebe zum Patriotismus Verantwortung übernehmen möchte. Allein durch ihren Einsatz bin ich gewiss, dass unsere Zivilisation noch nicht verloren ist. Und genau deshalb werde ich diejenigen unterstützen, die sich dem Ideal des Miteinanders und einer Ethik der Gewissenhaftigkeit verschrieben haben.