Kommentar von Dennis Riehle
Ich bin sicher, die Gründungsväter unserer Republik haben es gut mit uns gemeint. Denn an sich haben wir eine durchaus überzeugende Verfassung, würde sie denn auch von jedem eingehalten. Und so will ich mich mit einem Vorwurf an diejenigen zurückhalten, die kurz nach dem Ende der Diktatur in einem Wohlwollen und Dafürhalten hinsichtlich des zur Weisheit gereiften Bürgers davon ausgingen, dass sich der Despotismus nicht noch einmal wiederholen würde. Augenscheinlich hat zum damaligen Zeitpunkt niemand daran gedacht, dass es erneut einen Augenblick in der ohnehin belasteten Geschichte geben würde, an dem sich die herrschende Klasse zu einem totalitären Bestreben aufschwingt – und im Zweifel so fest an ihren Sesseln klebt, dass sogar die „Letzte Generation“ darauf neidisch ist. Aber weil uns eben auch die Historie gelehrt hat, dass die Einsichtsfähigkeit unserer Spezies durchaus begrenzt scheint, musste es also auch nach dem Erlebnis des zweiten Autoritarismus im 20. Jahrhundert spätestens in der aktuellen Dekade zu einer Situation kommen, in der sich manch ein Zeuge der DDR nicht nur staunend die Augen reibt – sondern die eigentlich dem Antifaschismus als ständiger Leierkasten obliegende Formulierung des „Nie wieder“ ausstößt. Schließlich ist es gerade auch für meine Generation, die keine wirkliche Erinnerung mehr daran hat, was das Leben in einem Unrechtsstaat tatsächlich bedeutet, eine bedrückende und ernüchternde Erfahrung, wenn in diesen Tagen Repression, Bevormundung und Tyrannei für die Obrigkeit zu einer Selbstverständlichkeit werden. Es war also ein Webfehler der Konstrukteure, in den entsprechenden Artikeln des Grundgesetzes nicht die Möglichkeit für eine Abwahl derjenigen vorzusehen, die ihre Macht missbrauchen – und ihr Amt für die Durchsetzung einer persönlichen Ideologie zweckentfremden.
Die Notbremse und der Schleudersitz fehlen, mit denen wir diejenigen aus dem Berliner Elfenbeinturm katapultieren könnten, die aktuell massiv in die Pressefreiheit eingreifen – oder mit sämtlichen Instrumenten der Unterdrückung, Ausgrenzung und Verfolgung Hatz auf diejenigen machen, die aus ihrer Sicht die Demokratie gefährden – weil sie sich nun einmal rechts der SPD verorten. Es weckt bisweilen böse Assoziationen, wenn Anhänger, Unterstützer und Funktionäre der AfD nicht nur etikettiert und gebrandmarkt sind. Sondern auch tätliche Übergriffe für zulässig erklärt werden, wenn man die Menschenwürde in der typisch progressiven Doppelmoral zwischen den Guten und Bösen abstuft. Doch nicht nur in den Medien, in der Öffentlichkeit und im gesellschaftlichen Diskurs steht die Alternative für Deutschland mittlerweile unter Dauerbeschuss. Ihre Separierung wird auch im Hohen Haus eklatant vorangetrieben. So besetzt sie beispielsweise im Bundestag bis heute keinen Posten des Vizepräsidenten. Und auch auf Landesebene will man sie von wichtigen Positionen fernhalten. So verwehrt man ihr in Bayern den Zugang zum Kontrollgremium – und bekam mit dieser Haltung nun vom zuständigen Gericht auch noch Unterstützung. Die Argumentation in der Entscheidung lässt die Fallstricke unseres repräsentativen Systems erahnen, welches eben doch nicht so ausgeklügelt ist, wie man es 1949 dachte. Denn es ist die Selbstverwaltung einer jeden Abgeordnetenkammer – die im Zweifel dafür genutzt werden kann, die unliebsame Opposition von Partizipation auszuschließen -, welche die Roben in München für die Klageabweisung heranzogen. Sie sahen eine Verweigerung des mehrheitlichen Kartells als zulässig, weil die ungestörte Ausübung des Mandats über dem Ansinnen einzelner Gruppen steht, in den verschiedenen Arbeitskreisen angemessen zugegen zu sein.
Gerade in diesem Dilemma liegt der Knackpunkt. Schließlich mag es auf der Ebene zwischen dem Souverän und seinen Vertretern zumindest in der Theorie noch gelingen, dass die vom Volk Entsandten zumindest zeitweilig in deren Sinne agieren. Doch wenn es anschließend zur indirekten Wahl kommt – und die Delegierten im Plenum wiederum zu den Urnen gerufen werden, um eine Partei oder Person für die Mitwirkung in einem Gremium zu bevollmächtigen -, sind den Optionen zur Blockade Tür und Tor geöffnet. So verständigt sich im Zweifel das Konsortium von CSU bis Grünen, diejenigen von wegweisenden Schaltstellen des parlamentarischen Betriebs kurzerhand fernzuhalten, gegen die man ideologische Missgunst, Argwohn und Groll hegt. Dass man mit einem derartigen Gebaren den Auftrag aller Menschen mit Füßen tritt, die sich mit ihrem Votum für die Blauen darauf verlassen haben, auch in den verschiedenen Ausschüssen außerhalb der Vollversammlung verkörpert zu werden, interessiert weder die Judikative noch die Legislative. Natürlich kann man den Deputierten in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht dazu zwingen, einen von der AfD vorgeschlagenen Kandidaten unterstützen zu müssen. Ehrlich und integer wäre es aber, in der hauseigenen Ordnung für jede durch das Volk legitimierte Kraft einen verbindlichen Sitz in sämtlichen Beiräten und Kuratorien festzuschreiben. Denn das wäre der notwendige Respekt gegenüber jenen, die die Alternative für Deutschland als weder verbotene noch verwerfliche Institution mit der Ausübung ihres Willens beauftragt haben. Nachdem aber Tugenden wie Anstand, Wertschätzung und Reverenz schon seit langem dort verpönt sind, wo sich die Regierenden in Hohn und Spott gegenüber dem Steuerzahler ihre eigenen Diäten erhöhen, stellt kein wirkliches Geheimnis mehr dar. Deshalb wird man auch nicht erwarten können, dass Statuten in eine Richtung verändert werden, die ein authentisches Abbild der Mehrheitsverhältnisse zulassen würden. Und so bleibt am Ende lediglich der Weg über die nächste Gelegenheit, die gegängelte Fraktion durch ein Kreuz auf dem Stimmzettel mit noch mehr Rückhalt auszustatten.