Kommentar von Dennis Riehle
Bisher kannten wir Kipppunkte lediglich aus dem Wortschatz der Klimafanatiker. Was in einer positiven Konnotation vielleicht als Zeitenwende beschrieben werden kann, ist ein Augenblick in der Geschichte, welcher die Gesellschaft und die Politik zu einem Umdenken bewegt. Dass es anschließend aber nicht zwingend besser werden muss als zuvor, das beweist aktuell die Kehrtwende der staatlichen Institutionen. Sie verstehen sich mittlerweile nicht mehr als Akteure im Sinne des Volkes. Sondern sie agieren immer öfter gegen die eigenen Bürger. Und so ist es durchaus ein beispielhafter Vorgang in der jüngeren Geschichte, dass sich eine Behörde in einem Internetvideo tatsächlich dazu erdreistet, Menschen kurzerhand als rechtsextremistisch abzustempeln, die in den Sozialen Medien ein Bekenntnis zu ihrer Heimat abgeben. Und so ist es also der Verfassungsschutz in Niedersachsen, welcher auch nach Ansicht renommierter Rechtsexperten den Boden des Grundgesetzes verlassen hat, als man die Initiative um den „Stolzmonat“ in einem öffentlichen Erklärstück nicht nur verpönte und in eine vorgefertigte Ecke schob. Stattdessen unterstellte man denjenigen, die während des sogenannten „Pride Month“ nicht etwa mit regenbogenfarbenen Flaggen in ihrem Profil auf sich aufmerksam machten – sondern mit dem noch immer als offizielle Kolorierung für die Bundesrepublik geltenden Schwarz-Rot-Gold daran erinnerten, dass wir eben nicht in einer queeren Welt leben -, kurzerhand eine Feindlichkeit gegenüber sogenannten LGBTIQ-Anhängern. Den tatsächlichen Sinn der Aktion verstand man beim Geheimdienst auch deshalb nicht, weil wir in einer Dekade der bunten Vielfalt, Toleranz und Harmoniesucht immer wieder dazu aufgefordert werden, sämtliche Eigenarten des Individuums zu respektieren. Doch es ist nicht nur nach dem Dafürhalten von Juristen ein heikles, möglicherweise auch unzulässiges Gebaren, wenn man der Mehrheit in unseren Gefilden die Bereitschaft zur Anerkennung der Würde des Einzelnen als elementaren Bestandteil unseres zivilisierten Gemeinwesens abspricht.
Auch ich habe im Juni wiederholt meine unverrückbare Solidarität mit meiner Herkunft, Wurzeln und Ursprüngen zum Ausdruck gebracht. Vor allem hab ich mich aber gerade als schwuler Mann mit Vehemenz gegen die Vereinnahmung von Homosexuellen durch eine Ideologie gestemmt, welche ich explizit nicht mittrage. Schließlich definiere ich mich in erster Linie als Mensch. Und erst sehr viel später kommt irgendwann die für mich zur Normalität gewordene Persönlichkeitseigenschaft, eine Liebespräferenz gegenüber Männern zu verspüren. Diese spielt sich für mich allerdings in meinem privaten Umfeld ab – bestenfalls im Schlafzimmer. Ich trage meine gleichgeschlechtliche Zuneigung nicht wie eine Monstranz vor mir her. Denn sie ist für mich nicht ein prägendes Charakteristikum, das im Vordergrund steht. Wer dagegen Obszönität und Skurrilität durch Lack, Leder und Rüschen auf die Straße tragen muss, der sollte im Zweifel auch damit rechnen, dass auf eine solche Provokation größtmögliches Unverständnis entgegenschlägt. So kann man einem Miteinander keinesfalls den Anspruch an Sittlichkeit, Normativität und Integrität absprechen. Denn er gehört nicht nur zu den tugendreichen Idealen in einem aufgeklärten und sozialisierten Kulturkreis. Stattdessen scheint es der majoritäre Konsens, sich nicht moralisch von denjenigen gängeln zu lassen, die mit einer bisweilen pathologisch anmutenden Extrovertiertheit eine nicht nur für den konservativen Geschmack äußerst anrüchige, konfrontative und abstoßende Weltanschauung zur Akzeptanz verordnen wollen. Wer sich selbst in erster Linie als eine Transperson, als Pinguin, Handrührgerät, Zimmerpflanze oder Nichts versteht, dem bleibt diese Gesinnung im Rahmen seines abgesteckten Wirkungskreises so lange legitim, wie dadurch nicht die Freiheit, die kollektive Auffassung und das orientierende Rahmengerüst einer Gruppe tangiert wird, welches als verbindlicher Leuchtturm zur gemeinsamen Orientierung dient.
Dass wir uns in einem kulturellen Umbruch befinden, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr. Doch er geht nicht allein von der Tatsache einer sukzessiven Verdrängung der abendländischen Wesenseinheit und der Etablierung einer islamistisch geprägten Gottesherrschaft aus. Viel eher will man den Deutschen auch die Seele herausreißen, welche man nach Jahrzehnten der Kollektivschuld mit viel Mühe wieder aufgepäppelt hatte. Anstelle einer nationalen und patriotischen Entität sollen wir uns künftig mit Gender-Pronomen gemeinmachen – und damit jeglichen Bezug zu dem verlieren, was uns eigentlich ausmacht, nämlich unter anderem die deutsche Sprache. Denn im internationalen Wettbewerb werden wir nicht mit einer ad absurdum getriebenen Selbstbestimmung überzeugen können. Sondern allein mit Aufrichtigkeit, Authentizität und Anerkennung der prägenden Tradierung, die wir in Echtheit nach außen vermitteln. Und zu ihr gehört keinesfalls eine Philosophie der Unbedingtheit und Unzuverlässigkeit. Auf Gefühlen und Empfindungen des Subjektiven lässt sich kein Fundament für eine stabile Zukunft einer ganzen Spezies errichten. Und so formuliert Art. 116 GG nicht etwa den Auftrag zum Erhalt von Buntland, sondern ein Kontinuum der deutschen Volkszugehörigkeit. Diese Richtlinie sollte eigentlich gerade denjenigen bekannt und bewusst sein, die sich als die obersten Hüter unseres Grundgesetzes stilisieren. Dass sie aber mittlerweile ihre eigenen Regeln haben, ruft nun sogar Fachleute auf den Plan, die im Versuch des Madigmachens eines Ehrgefühls für den immanenten Verbund eine Grenze als überschritten betrachten. Denn weder ist das Zeigen der Deutschlandfahne verwerflich, noch lässt sich daraus irgendeine radikale Gesinnung ableiten. Wer dennoch eine Assoziation diesbezüglich herstellt, der überschreitet nicht nur seine Kompetenzen, sondern der verletzt im Zweifel auch Art. 5 GG. Man kann also nur hoffen, dass den Schlapphüten in Hannover eine deutliche Ansage zuteilwird. Schließlich fehlt nicht allzu viel bis zu einer strafrechtlich relevanten Verleumdung und Hetze, wenn sich die Exekutive eine generelle Etikettierung von rechtsgesinnten Mitbürgern als Gefährder unserer Verfassung und Demokratie anmaßt – und diese Überzeugung dann auch noch mit größtmöglichem Distributionsbemühen über den virtuellen Äther dem allgemeinen Publikum als Wahrhaftigkeit serviert.