Kommentar von Dennis Riehle
Griechenland gilt nicht erst seit der Euro-Krise als ein strauchelnder Partner innerhalb der EU. Selbstredend sollte man das Vorurteil über eine südländische Mentalität der Bequemlichkeit keinesfalls als pauschale Tatsache verallgemeinern. Und so liegt es vielleicht auch an den ständig steigenden Temperaturen durch die Erderhitzung, dass man an der Ägäis mit dem Wirtschaftswachstum nicht zufrieden sein kann. Nachdem die dortige Politik den wenig innovativen Befund erhoben hat, dass es für einen konjunkturellen Aufschwung die Mitarbeit aller Gesellschaftsteile bedarf, entschied man sich in Athen nun kurzerhand doch, die Menschen wieder an sechs statt fünf Tagen an den Schreibtisch zurückkehren zu lassen – und damit das Wachstum neu anzukurbeln. Was aus marktökonomischer Sicht durchaus Sinn macht, sollte allerdings nicht als ein Allheilmittel verstanden werden. Eine gesteigerte Produktivität bedeutet nicht unbedingt mehr Wettbewerbsfähigkeit oder Standortattraktivität. Und so sollte man auch die sofortige Begeisterung des bayerischen Ministerpräsidenten über das Modell vom Mittelmeer mit einer gewissen Skepsis und Argwohn betrachten. Denn die von ihm getroffenen Einlassungen sind blanker Hohn und Spott gegenüber der in unserem Land noch immer mehrheitlich äußerst bemühten Leistungsgesellschaft, in der es zwar immanente Anzeichen für einen Missbrauch der Philosophie der „Work-Life-Balance“ gibt. Allerdings muss Söder durchaus gespiegelt werden, dass er in seinen plumpen Formulierungen an den falschen Stellschrauben ansetzt, wenn er davon spricht, dass „wir“ in der aktuellen Phase wieder „mehr arbeiten“ müssten. Liegt es tatsächlich am fehlenden Engagement von Vollzeit-Beschäftigten, dass sich auch unser Land in einer nicht sonderlich gut situierten Ausgangslage befindet, was die Prosperität angeht? Man möge diese Ausführungen dem Angestellten bei den Entsorgungsbetrieben vorhalten, der seit 40 Jahren täglich den Müll der Anderen zusammensammelt. Oder dem Handwerker auf der Baustelle, der trotz Rückenleiden auch weiterhin durchhält, weil er seine Familie versorgen muss. Und der Pflegekraft im Heim, die körperlich und mental auf dem Zahnfleisch läuft, weil die Personalsituation desaströs ist.
Es wäre durchaus ratsam gewesen, wenn sich der CSU-Politiker mit etwas mehr Differenziertheit an das Thema herangewagt hätte. Nein, wir können und dürfen nicht von denjenigen zusätzliche Einsatzbereitschaft abverlangen, die schon heute bis auf das Äußerste buckeln. Viel zu wenig hat der bajuwarische Landesvater auf all die Menschen abgezielt, die trotz Dienstfähigkeit seit jeher im Bezug von Grundsicherungsleistungen verharren – obwohl es eine Menge an zumutbaren Jobs gibt, ihnen sie mit Leichtigkeit nachgehen könnten. Es bedarf keines Verlangens nach einer Aufweichung einer 38,5-Stunden-Woche nach oben. Stattdessen müssen die Forderungen darauf abzielen, all diejenigen in Beschäftigung zu bringen, welche sich tatsächlich einen Lenz machen in ihrem Dasein als Bürgergeldler. Wie verachtenswert ist es hinsichtlich der Tüchtigkeit von vielen Deutschen, wenn beispielsweise die Vermittlungsquote von ukrainischen „Kriegsflüchtlingen“ dramatisch niedrig liegt – und sich jene auf der sozialen Hängematte einer über die Maßen solidarischen Bundesrepublik ausruhen, welche im Nordwesten ihrer Heimat mit keiner einzigen Kampfhandlung in Verbindung gekommen sind, aber auf der ohnehin völlig widersinnigen und ungerechten Regelung mitschwimmen, pauschal jedem bei uns Asyl zu gewähren, der mit einer blau-gelben Flagge vorfährt? Wie lange müssen wir noch auf die konsequente Sanktionierung warten, die Karlsruhe als ein legitimes und vertretbares Instrument angesehen hat, wenn sich jemand in einer intakten gesundheitlichen Verfassung der Annahme einer zumutbaren und konkreten Arbeitsgelegenheit verweigert? Warum fehlt es vielen Migranten nach Jahren der Ankunft in unseren Sphären noch immer an einer Betätigung – ohne, dass sich die fehlende Mitwirkungsbereitschaft auf die Höhe der Alimentierung auswirkt? Es ist nicht nur eine Untugend, sondern auch eine Unverfrorenheit, die Folgen einer haushalterischen Bankrotterklärung der Ampel nun ausgerechnet jenen aufzwängen zu wollen, die ohnehin schon die größte Steuerlast bei uns tragen.
Der Eindruck verfestigt sich zunehmend, dass die etablierte Politik den Kontakt zum einfachen Bürger mittlerweile vollkommen verloren hat. Da hilft es auch nicht, wenn man sich in Tracht und mit Bierkrug im Festzelt unter der ausgewählten Masse tummelt – um möglichst schöne Medienfotos zu produzieren, die die Nähe zur Bevölkerung suggerieren sollen. Wer die Schufterei unserer „systemrelevanten“ Arbeitnehmer konsequent mit Füßen tritt, weil er sich offenbar doch für eine klare Aussprache der Wahrheiten zu gutmenschlich ist, empfiehlt sich weder als der nächste Kanzlerkandidat, noch als ein sensitiver Kompass über die Stimmung an der Basis. Denn dort wird es sicherlich nicht auf allzu viel Gegenliebe stoßen, wenn man diejenigen in die Pflicht nimmt, die sich entweder als Boomer ihrer Verantwortung für die Gemeinschaft allein schon aus historischen Aspekten bewusst sind – oder die zu einer Jugend gehören, die Bequemlichkeit und Faulenzertum nicht zu einem erstrebenswerten Charaktermerkmal erklärt haben. Wer so tut, als wären wir in unserer Gesamtheit ein Volk der Couch Potatos, der windet sich um die unverhohlene Feststellung, dass sich unser Miteinander immer stärker an der Trennlinie zwischen Fleißigen einerseits und Nutznießern andererseits polarisiert. Dass die Ursachen hierfür nicht zuletzt in der Dreistigkeit vieler „Schutzsuchender“ liegen, sollte gerade auch einem konservativen Vertreter eigentlich leicht über die Lippen kommen – sofern er sich nicht gerade auf Kuschelkurs zu den Grünen befindet, zu deren Paradedisziplin das Überbewerten einer abgeschlossenen Schulausbildung oder einer bedeutsamen Berufserfahrung gehört. Herr Söder, Sie zeigen mit Ihrem Finger auf die Falschen – und riskieren damit das weitere Abwandern gerade des kleinen Mannes zu denjenigen, die die Artikulation von Zusammenhängen und Wirklichkeit nicht schmähen. Vielleicht sollten Sie bei sich selbst beginnen, mehr Zeit in motivierte Anstrengung um tatsächliche Veränderung zu investieren, statt sich vor den Mikrofonen in zynischen und frechen Luftnummern zu üben. Denn dass Ihre verkürzten und populistischen Gebaren nicht zum ersten Mal einen äußerst unglücklichen Ton getroffen haben, sollte sie ebenso stark umtreiben wie Ihre Wankelmütigkeit, mit der sie dem Souverän verunmöglichen, eine verlässliche Auskunft auf die Frage zu bekommen, wie tief die Christsozialen mittlerweile im Einheitsbrei antireaktionärer Volksverachtung abgesunken sind.