Kommentar von Dennis Riehle
Es muss etwa 25 Jahre her sein, da hatte ich dieses sogenannte „Outing“. Im Gegensatz zu Klaus Wowereit habe ich dafür aber nicht die Bühne eines Parteitags genutzt – und mich auch auf das vollmundige Bekenntnis „Ich bin schwul – und das ist auch gut so!“ eingelassen. Es war die bloße Feststellung gegenüber meinen Eltern, die allerdings wenig überrascht waren von dieser Nachricht. Denn meine Mutter merkte einigermaßen achselzuckend an, dass sie das doch schon lange gespürt habe – immerhin sei ich doch ihr Kind, das sie bereits in ihrem Bauch getragen habe. Insofern war dieser für mich zunächst wie ein Gang nach Canossa gefürchtete Akt in eineinhalb Minuten erledigt – und ich hatte auch keinerlei Bedürfnis, jene Intimität aus meinem höchstpersönlichen Privatleben irgendjemandem außerhalb meines engsten Umkreises auf die Nase zu binden. Möglicherweise unterscheidet mich das – wie allerdings eine wohl nicht unbeträchtliche Zahl an gleichgeschlechtlich Liebenden – von all denjenigen, die sich aktuell beispielsweise auch wieder in München zu einer Parade versammelt haben, der ich nur noch kopfschüttelnd und mit einem gewissen Würgereiz am Bildschirm beiwohnen kann. Ich dürfte etwa 19 gewesen sein, als ich aus Neugier einem CSD als Zuschauer folgte. Und schon damals war die Tendenz in Richtung Nacktheit, Lack und Leder mehr als deutlich erkennbar. Auch pinkfarbene Rüschen und regenbogenfarbene Fahnen waren zugegen – und ließen mich innerhalb von Sekunden erkennen, dass das nicht meine Realität ist. Und das, obwohl die Veranstaltung noch deutlich moderater schien als die Exzesse in der Gegenwart. Denn was sich dort heutzutage abspielt, das ist an Perversion und Pietätlosigkeit kaum noch zu toppen. Schon lange war es mir ein Argwohn, dass Personen wie ich von einer Bewegung vereinnahmt wurden, die explizit nicht meine Interessen vertritt. Meine feste Überzeugung ist es, dass dieses Persönlichkeitsmerkmal zwar immanent zu mir gehört – und ich auch zu keinem Zeitpunkt damit gerungen habe, sie als einen elementaren Bestandteil von mir anzunehmen. Doch sie sie taugt für mich nicht einmal ansatzweise als Aufhänger, über den ich meine gesamte Kongruenz rechtfertigen könnte.
Ich bin in erster Linie Mensch – und nach vielen anderen Wesenseigenschaften kommt irgendwann auch meine Orientierung und Zuneigung zu Männern. Sie besitzt aber beileibe keinen Stellenwert, über den ich mich definieren würde. Was in meinem Schlafzimmer passiert – oder auch nicht -, das geht höchstens meine Nachttischlampe etwas an. Die Präsentation einer skurrilen Lebensweise, welche für manche Vertreter der LGBTIQ-Community zum Mittelpunkt und Nabel der Welt geworden ist, trägt für mich durchaus psychologisch bedenkenswerte Züge. Wer seine Empfindungen, vor allem aber seine Extrovertiertheit und Provokanz, wie eine Monstranz vor sich herträgt, scheint ein offenbar arg verkümmertes Selbstwertgefühl kompensieren zu wollen. Zwischen einer Mentalität und Philosophie einerseits, einer Ideologie und Geisteshaltung auf der anderen Seite, verläuft vor allem die Grenze der Anmaßung. Jeder kann für sich in einer durch die Demokratie zugestandenen Freiheit die irrwitzigsten, eigentümlichsten und anstößigsten Charakteristika und Verhaltensweisen im Rahmen seines ureigenen Wirkungsbereiches praktizieren. Allerdings steht es dem Einzelnen in einem Kollektiv nicht zu, ein die Sittlichkeit mit Füßen tretendes Gebaren derart obsessiv in den öffentlichen Raum zu tragen, dass dadurch die in einer abendländisch geprägten Kultur noch immer vorherrschende Normativität und ein majoritär vertretener Wertekonsens aufreizend herausgefordert werden. Niemandem muss sich zumuten, von Obszönität behelligt zu werden. Schlussendlich sind wir auch in einem liberalen Gefüge nicht zur Toleranz jedweder individuellen Vulgarität oder Unflätigkeit verpflichtet. Dass sich Argwohn, Missgunst und Ressentiments hinsichtlich der heute als Queerness auftretenden Gruppe an Profilneurotikern in der jüngeren Vergangenheit wieder deutlich verstärkt haben – und damit auch der über Dekaden unbeschwerte Umgang mit Schwulen und Lesben torpediert wurde, hängt nicht zuletzt mit der immer weiteren Separierung einer von der Transgender-Fraktion unterjochten Spezies an krampfhaft Andersdenkenden zusammen, die sich im Zweifel nicht mehr darüber sicher sind, ob sie heute Morgen als schnurloses Telefon oder unbehandelte Zitrone aufgewacht sind.
Auch wenn es – für mich einigermaßen schmerzvoll und ernüchternd – gerade in manchen rechten Kreisen bis heute noch nicht anerkannt scheint, wonach der Uranismus keinesfalls etwas Unnormales, sondern eine Schattierung des schöpferischen Spiels ist, kann ich nur allzu gut nachvollziehen, dass die ständige Brüskierung und der Affront, welchem die Allgemeinheit durch die bunte Ekstase an fehlendem Betragen, Schicklichkeit und Etikette ausgeliefert ist, zu massiven Vorurteilen führt. Denn einerseits grenzen sich die Woken immer stärker in ihrer Bubble vom Rest der Zivilisation ab – und empören sich im selben Atemzug, dass ihnen zu wenig Respekt entgegengebracht werde. Gleichermaßen konfrontieren sie die Gesellschaft mit ihrer Degenerativen Evolution über die Maßen – und formulieren die Erwartungshaltung unter Androhung der Moralkeule, dass ihr deutlich sichtbarer Sozialisationsverlust akzeptiert werden müsse. Doch wir müssen uns nicht unter dem erhobenen Zeigefinger genötigt sehen, eine pikante, frivole und ordinäre Subjektivität als Verbindlichkeit anzuerkennen. Dennoch wünsche auch ich mir von allen Rationalisten, dass wir uns stärker um Differenzierung bemühen. Denn es bleibt doch einigermaßen befremdlich, dass völlig zurückhaltende, unauffällige und angepasste Homosexuelle mit jenen in einen Topf geworfen werden, die ihre Identität nach dem tagesaktuellen Empfinden ausrichten – und damit nicht nur jede Natürlichkeit und Binarität torpedieren, sondern kurzerhand das bloße Gefühl zum Maßstab machen. Ich hatte noch nie irgendein Problem damit, mich mit meiner sexuellen Präferenz völlig selbstverständlich in der Minderheit zu sehen. Und ich hege wahrlich keinerlei Ansinnen nach zusätzlichen Privilegien. Denn es geht mir allein um eine Gleichberechtigung, aber eben nicht um eine Besserstellung. Derzeit fürchte ich mit Blick auf das Erstgenannte einen Rückschritt. Denn wem kann man es verübeln, eine ablehnende Haltung gegenüber dem einzunehmen, was mittlerweile nicht nur durch Politik, Medien, Kirchen, Verbände, Wirtschaft oder Gewerkschaften hofiert, sondern auch im Fußball durch lilagehaltene Trikots plakativ gefördert wird? Sollte ich heute noch einmal zufällig an einem „Christopher Street Day“ vorbeikommen, so hätte ich meine schwarz-rot-goldene Nationalflagge in jedem Fall bei mir – und würde diese demonstrativ von der Seite aus denjenigen zuwedeln, die mir mit ihrer Fetisch-Maske eine alternative Wirklichkeit schmackhaft machen wollen. Denn ich bin stolz auf meine Heimat, aber nicht proud auf eine Nebensächlichkeit.